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Sorgen für Palme

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Bei den letzten Parlamentswahlen, im September 1970, erhielten die Sozialdemokraten in Schweden 45,3 Prozent aller abgegebenen Stimmen und die Zenterpartei 19,9 Prozent. Das war kein besonders leuchtendes Resultat für die regierende Arbeiterpartei, denn im Februar desselben Jahres hatten — so ergaben die Untersuchungen der Meinungsforscher — noch 50,5 Prozent aller Befragten erklärt, für die Arbeiterpartei stimmen zu wollen und im Februar 1969 waren es sogar 52,5 Prozent gewesen.

Nach den letzten, eben bekanntgewordenen Untersuchungen, aber ist der Anteil der Sympathisanten der Arbeiterpartei auf 43 Prozent der Wählerschaft zusammengeschmolzen. Dasselbe Resultat ergab eine im Jänner durchgeführte Untersuchung. Die Kommunisten können sich einer leichten Verbesserung von 3,5 Prozent auf 4 Prozent erfreuen. Die schwedische KP hält heute immerhin 17 Sitze im Reichstag, was ihr nicht nur die Erhaltung einer — wenn auch bescheidenen! — Presse ermöglicht, sondern auch jene Stützung der Minderheitsregierung Palme, ohne die es längst schon zu einem Wechsel am Steuerruder des Staates gekommen wäre.

43 Prozent und die 4 Prozent der Kommunisten ergeben aber immer nur 47 Prozent, während die drei bürgerlichen Oppositionsparteien zusammen 52 Prozent aller Stimmen bei einer heute stattfindenden Wahl erhalten würden. Da diese Zahlen schon seit vielen Monaten annähernd gleich bleiben, muß ihnen ein hohes Maß an Genauigkeit zugebilligt werden. Wieviel sich noch bis zur Parlamentswahl im September ändern wird, weiß man natürlich nicht, doch die Drohung für die Arbeiterregierung ist unverkennbar. Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

Wie in einer ganzen Reihe von anderen Industriestaaten steht das Mißvergnügen über die Preisentwicklung an erster Stelle, während die Unruhe über die allzu hohe Arbeitslosigkeit ebenfalls zunimmt. Zum Unterschied von anderen Staaten aber trifft in Schweden die Teuerung mit voller Stärke die ärmsten Bevölkerungsschichten, da die lebensnotwendigsten Waren die stärksten Preiserhöhungen aufweisen, während viele Waren des sogenannten „gehobenen Bedarfes“ nur geringe Preiserhöhungen erfahren, oder — im Verhältnis zum Einkommen — sogar billiger werden. Verbrauchersteuern von 20 Prozent auf Lebensmittel, die man einfach nicht entbehren kann, können keine Regierung populär machen, ebenso nicht die Freigabe der Wohnungsmieten, die hunderttausende Familienversorger zwingt, um staatliche oder kommunale Mietzinsbeiträge anzusuchen.

Es ist überdies unverkennbar, daß im Kabinett Olof Palmes einige wichtige Posten mit sehr schwachen Persönlichkeiten besetzt sind. Eine Verkehrspolitik, die einseitig den privaten Automobilismus begünstigt, Milliardenbeträge für Autobahnen hinauswirft und sich gleichzeitig nicht scheut, verkehrsmäßig ungünstig gelegenen Landesteilen die letzten Bahn- und Busverbindungen zu nehmen, muß nicht nur den Zorn der Betroffenen erwecken, sondern diese auch oft in eine verzweifelte Situation versetzen. So verhallen seit Jahren die Hilferufe, die von der großen Ostseeinsel Gotland kommen, völlig ungehört. Die Verarmung und Entvölkerung ganzer Landesteile ist die unvermeidbare Folge einer Politik, deren verhängnisvolle Zusammenhänge Premier Palme offenbar gar nicht zu erfassen scheint.

Das hier Gesagte soll nun nicht so aufgefaßt werden, als befände sich Schwedens Bevölkerung auf dem Weg in eine zunehmende Verelendung. Immer noch ist Schweden in sozialer Beziehung eines der fortschrittlichsten Länder in der Welt. Daneben aber gibt es schwere Mißgriffe, unverkennbare Anzeichen dafür, daß das einseitige Streben nach materieller Wohlfahrt und größtmöglicher individueller Freiheit in sich selbst neue Probleme und Nachteile für Teile der Bevölkerung schafft. Die Auffassung, daß man sich auf dem richtigen Wege befindet und dabei ist, die beste aller Gesellschaftsordnungen zu bauen, ist jedenfalls in die Brüche gegangen! Breite Schichten der Intellektuellen stehen der Regierung sehr kritisch gegenüber; dasselbe gilt einerseits für die niedersten Einkommensschichten, die von den Preiserhöhungen am schwersten betroffen sind, und anderseits für jene Jugendlichen, die keine Arbeit mehr finden können.

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