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Soziologen auf der Spur des Atheismus in Österreich

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Atheismus in Österreich, gibt's den? Wissenschaftlich ist die Frage bisher in der Donau-Alpenrepublik nicht aufs Korn genommen worden. Das Institut für Kirchliche Sozialforschung (IKS) hat nun den ersten Versuch in Richtung Atheismusforschung gestartet.

Dem Atheismus in Österreich mit den Mitteln der Soziologie auf die Spur zu kommen, ist gar nicht so einfach. „Das Vorhandensein einer atheistischen Kultur kann nicht einfach aus den Ergebnissen einer auf Einzelpersonen ausgerichteten Einstellungsforschung erschlossen werden“, heißt es im Bericht des IKS. „Ob man eine Gesellschaft als mehr oder minder vom Atheismus geprägt bezeichnen kann, hängt nicht so sehr davon ab, wieviel individueller Unglaube vorhanden ist, sondern in welchem Maß die Gesellschaft jenen Instanzen, die eine vom Glauben geprägte Kultur herbeigeführt haben und aufrechterhalten wollen,

•ihre Unterstützung entzieht,

•sie in ihrem Wirken behindert oder

•zur Bedeutungslosigkeit verurteilen will.“

Traumziel der Kirchensoziologen wäre es, eine qualitative Studie, die auch das, historische Material durchackert, mit repräsentativen Querschnittbefragungen zu koppeln. Vorläufig müssen sich die Kirchensoziologen mit „Fragmenten“ begnügen, die „nicht im Rahmen einer theoretisch und methodisch fundierten Atheismusforschung zutage gefördert“ werden. Doch auch die „Fragmente“ bieten manche aufschlußreiche Daten. Eine Befragung von katholischen Eltern in Salzburg ergab, daß

•76 Prozent an die Existenz eines etwas diffusen „höheren Wesens“ glauben,

•7, Prozent meinten, immerhin, „es muß etwas geben“,

•nur ganze 6 Prozent entschlossen sich zu einem kategorischen „Nein“,

•die übrigen zogen sich mit Antwortverweigerung oder einem vagen „man kann es nicht wissen“ aus der Affäre.

Als die Soziologen an der Oberfläche zu kratzen begannen, zeigte sich aber, daß viele Menschen in Österreich es vorziehen, sich nicht allzu intensiv mit der Gottesfrage zu beschäftigen und den „Herrgott“ lieber nur beim Heurigen besingen. Denn bei einer anderen Untersuchung in Westösterreich kam ans Licht, daß

•zwar 89 Prozent der Befragten den Satz bejahten: „Ich glaube, daß es Gott gibt, denn irgend jemand muß die Welt erschaffen haben“,

•aber auch 49 Prozent den doch fast entgegengesetzten Satz unterschrieben: „Es ist möglich, daß es Gott gibt, aber man kann nichts Genaues darüber wissen.“

Zur Religion im allgemeinen bekundeten zwei Drittel eine positive Einstellung als „Quelle der Hoffnung und des Trostes“. Auch zeigte sich, daß die gängigen Vorurteile doch weniger verbreitet sind, als man im allgemeinen annimmt. Denn:

•nur 8 Prozent stimmten dem Satz zu: „Ein Mensch, der etwas von Wissenschaft versteht, muß die Religion ablehnen“,

•bloß 7 Prozent bejahten die Feststellung „Wer im Beruf nichts erreicht, flüchtet sich in die Religion“,

•15 Prozent identifizierten sich mit der Ansicht „Religion ist in erster Linie für Leute, die keine eigene Meinung haben“.

Trotzdem sind die Kirchensoziologen eher skeptisch: „Es gibt mehr Unglauben, als die religiöse Meinungsforschung zunächst erkennen läßt. Wichtig ist auch festzuhalten, daß Unglaube nicht mit Konfessionslosigkeit identisch ist. Viele Konfessionslose bejahen religiöse Wahrheiten, anderseits stimmen manche Kirchenmitglieder wichtigen Elementen des Glaubensstandards ihrer Kirche nicht zu oder haben überhaupt eine agnostische. bis atheistische Einstellung.“

Die zitierten „Fragmente“ liefern zwar erste Hinweise, aber ist Atheismus als soziales Phänomen in einem traditionell katholischen Land wie Österreich überhaupt vorstellbar? Nun ist es zwar richtig, daß der bürgerliche Atheismus des 19. Jahrhunderts, der sich an Wissenschaft, Fortschritt und Nation inspirierte und sich allenfalls noch an Richard Wagner samt Weltesche Yggdrasil klammerte, in Österreich weniger aggressiv war als anderswo, wo dann eben auch Kirchen brannten und die Kruzifixe heruntergerissen wurden. Aber die Herausforderung durch ein liberalatheistisches Bürgertum hat es in Österreich auch gegeben.

Es wäre interessant, nachzuprüfen, wieviel an Gedankengut dieses bürgerlichen Atheismus im Lauf der letzten 100 bis 120 Jahre über Volksschule, Presse, Trivialliteratur und Indoktrinationsver-suche politischer Parteien in die in Österreich herrschenden gesellschaftlichen Überzeugungen eingeflossen ist und so das öffentliche Bewußtsein — und auch das der einzelnen — roitprägt.

Das Institut für Kirchliche Sozialforschung stellt in seinem Bericht aber auch die Frage, ob nicht Komponenten wie Berufsleistung oder ökonomischer Erfolg die Menschen an eine augenblicksorientierte und nur vordergründig erfahrene Lebenssphäre binden, die den Zugang zur Transzendenz und den Fragen des religiösen Glaubens behindert.

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