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Statt Bevormundung Selbstorganisation

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Der Wiener Hochschulprofessor für Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft Egon Matzner ist für die SPÖ eine gewinnbringende Investition in die Zukunft. Mit seinem neuen Taschenbuch „Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftskrise“, das eine Sammlung der bei der Vorarbeit für ein neues SPÖ-Programm angefallenen Materialien darstellt, versucht er, gemeinsam mit Österreichs Sozialisten einen Ausweg zu finden: Einen Ausweg aus den drohenden Perspektiven eines staatlichen Vollstreckungssozialismus.

Nicht überraschend für Matzner kommt seine diesmal ausführlicher formulierte These über die Ergänzungsbedürftigkeit der parlamentarischen Demokratie durch das Prinzip der „Gegenmacht und der Dezentralität in allen Bereichen“. Immer wieder taucht die Vision von der „gesellschaftlichen Selbstorganisation“ auf, ein Prinzip, das im Verhältnis zum katholischen Subsidiaritätsprinzip keine Gegensätze, aber Unterschiede aufweist: „Ich habe angeregt, daß es notwendig und wünschenswert sein wird, in Zukunft auch in der Betreuung der Kinder, der Kranken und der Alten neben bereits erwähnten auch neue Wege einzuschlagen. Ich glaube, daß es Zeit ist, sich zu überlegen, ob nicht bestimmte Betreuungsaufgaben besser und billiger in Kooperation zwischen den kommunalen Stellen und den Angehörigen, Nachbarn, gesellschaft-liehen Gruppen durchgeführt werden können.“ Die Menschen sollen nur in Notfällen in zentralen Institutionen betreut werden, wo immer es möglich ist, durch die Menschen selbst. Hört sich das nicht altvertraut an?

Matzner meint, in seiner These einen Unterschied zum Subsidiaritätsprinzip darin festgestellt zu haben, daß dezentrale Aufgaben nicht nur durch die „Kernfamilie“, sondern auch durch mehrere Haushalte umfassende Gemeinschaften übernommen werden sollen. Vorbild hiefür ist die Schweizer Vorstellung des „Kleinen Netzes“: „Ein Kleines Netz sollte in der Regel 15 bis 20 Familien umfassen, die im Rahmen einer Siedlungsgemeinschaft einzelne soziale Aufgaben und Gemeinschaftsdienste aus eigener Kraft erfüllen... Im Kleinen Netz lassen sich verlorene Arbeitskraft und verschleuderte Steuergelder einfangen.“

Gar nicht schlecht, die Idee; nach dem Mascherl sollte man da nicht fragen.

In den Formulierungen zur Eigentumsfrage muß sich der Autor allerdings den Vorwurf des Wahlopportunismus gefallen lassen: Eigentum an den Produktionsmitteln soll es weiter geben, aber nicht aufgrund positiver Kriterien. Vielmehr, weil radikale Verstaatlichungsideen die Plattform für eine „Partei der 20 Prozent“ herger ben würde und weü die Unterwanderung des Eigentums durch neue Entscheidungsverhältnisse offenbar einfacher und billiger (durch den Wegfall der Zahlung von Kompensationen) ist: „Deshalb ist eine Betonung des gesellschaftlichen Einflusses auf die Unternehmensentscheidungen gegenüber der Vergesellschaftung des Eigentums möglich... In einem Programm für eine soziale Demokratie geht es deshalb in erster Linie um die Entscheidungsverhältnisse.“

Vernichtend ist Matzners Kritik an der Wiener Gemeindepolitik, der jede soziale Dimension völlig fehle. Diese Politik sei auf „wichtigen Gebieten eine schlechte Politik“, man könne den Eindruck bekommen, „daß dort, wo das Rathaus vermutet wird, tatsächlich ein ratloses Haus steht.“ Seine Alternative: „Reorganisation, weniger bürokratische Betreuung und Bevormundung, mehr Selbstorganisation, Selbsttätigwerden.

WOHLFAHRTSSTAAT UND WIRTSCHAFTSKRISE, von Egon Matzner, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1978, öS 52,40,—.

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