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Alternative zur Staatsallmacht

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Die Einstellung des Österreichers zum Staat ist offensichtlich schizophren. Während erst jüngst eine Umfrage des Fessl-In-stitutes aufzeigte, daß mehr als die Hälfte aller Österreicher eine zunehmende Vorsorge des Staates z. B. in den Bereichen Gesundheit, Altersversorgung, Wohnraumbeschaffung u. ä. wünscht, macht sich anderseits vielerorts ein Unbehagen an der sich immer klarer abzeichnenden „Allmacht" des Staates breit.

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Die Einstellung des Österreichers zum Staat ist offensichtlich schizophren. Während erst jüngst eine Umfrage des Fessl-In-stitutes aufzeigte, daß mehr als die Hälfte aller Österreicher eine zunehmende Vorsorge des Staates z. B. in den Bereichen Gesundheit, Altersversorgung, Wohnraumbeschaffung u. ä. wünscht, macht sich anderseits vielerorts ein Unbehagen an der sich immer klarer abzeichnenden „Allmacht" des Staates breit.

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Einerseits ist es bequem, für immer mehr Leistungen, die in einer Gesellschaft lebenswichtig sind, die Verantwortung auf den Staat abzuschieben. Hervorragende Beispiele dafür sind die Pflege und Betreuung von Kranken und Behinderten, Erziehungsaufgaben und dgl. Anderseits wird es bald offenbar, daß die Übernahme von Kompetenzen durch die öffentliche Hand nur um den Preis einer zunehmenden Verbürokratisierung und Machtkonzentration erkauft werden kann. Diese Entwicklung wird aber wiederum als negativ angesehen.

Uberträgt man diese Widersprüche auf die wirtschaftliche Ebene, so werden die Konturen noch deutlicher. Wo immer exakt die „Grenzen der Besteuerung" liegen mögen: Es steht fest, daß die Steuerbelastung ein Ausmaß erreicht hat, das bei neuerlichen Steuererhöhungen starke Widerstände der Bevölkerung erwarten läßt.

Durch den Unwillen, die Finanzierungsmöglichkeiten öffentlicher Aufgaben weiter wachsen zu lassen, ist aber dem vielfach geäußerten Wunsch nach einem Mehr an staatlichem Engagement ein Riegel vorgeschoben. Mit anderen Worten: Das vielzitierte „Diktat der leeren Kassen" unterstützt all diejenigen, die einerweiteren Expansion des Staates skeptisch gegenüberstehen.

Ein Ausweg aus dieser Situation scheint die „gesellschaftliche Selbstorganisation" zu sein. Mit diesem Begriff ist die Vielzahl von kleinen, dezentral agierenden und autonomen Bürgeraktivitäten angesprochen, bei denen engagierte Staatsbürger ihre eigenen Probleme in Selbsthilfe lösen, anstatt auf Hilfe durch die Öffentlichkeit zu warten.

Beispiele dafür wären Elterngruppen, die Spielplätze oder Kindergärten in Eigenregie organisieren, Pendler, die Mitfahrgelegenheiten systematisch als Alternative zu mangelnden öffentlichen Verkehrsverbindungen aufbauen, Ortsbewohner, die die Pflege und Erhaltung von Grünanlagen nicht irgendeinem „Amt" anvertrauen, sondern einfach selbst zupacken, usw.

Wenn sich gesellschaftliche Selbstorganisation nicht auf die Aktivitäten einer Minderheit beschränkt, sondern zu einem tragenden Prinzip unserer Gesellschaft würde, dann zeichnet sich auf diese Weise tatsächlich eine Alternative zum aufgezeigten Dilemma ab. Selbstorganisation könnte nämlich in jene Versorgungslücke einspringen, die der Staat in manchen Bereichen aus Finanzmängeln jedenfalls offenläßt. Sie wäre aber auch gleichzeitig eine aktive Gegenbewegung zur Machtballung beim Staat, weil die Bürger durch die Übernahme von Verantwortung gleichzeitig einen größeren Freiheitsraum gewinnen.

Somit stellen sich zwei zentrale Fragen. (1) Ist es prinzipiell möglich, einen ins Gewicht fallenden Anteil der Versorgung mit bestimmten Dienstleistungen durch Selbstorganisation zu gewährleisten? (2) Ist es realistisch, anzunehmen, daß dies in Österreich geschehen könnte?

Die prinzipielle Möglichkeit, Güter und Dienstleistungen nicht durch den Staat,' sondern durch eigenverantwortliche Bürgergruppen bereitstellen zu lassen, ist vor allem in Hinblick auf internationale Erfahrungen kaum zu bestreiten. Forschungsarbeiten am Institut für Soziälökono-mie der Wirtschaftsuniversität Wien konnten in diesem Zusammenhang aufzeigen, daß eine breite Palette unterschiedlicher Leistungen vom sogenannten „Dritten Sektor" erbracht wird, die vor allem im Bereich der sozialen Dienste, der Umweltpflege, des Verkehrswesens, der ökonomischen Entwicklung, des Hausbaus, bei verschiedenen Beratungsdiensten u. ä. von auffälliger Relevanz sind.

Weit entwickelt ist diesbezüglich der angelsächsische Raum, wo aus historischen und politisch-administrativen Gründen besonders gute Ausgangsbedingungen für Selbstorganisation herrschen.

Auch in Österreich gibt es Beispiele erfolgreicher Selbstorganisation, die im Kleinen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung dieser Art der Eigeninitiative demonstrieren können.

Dazu nur ein einziger konkreter Fall: Im Rahmen des Vereins „Behindertenhilfe - Bezirk Korneuburg" griff eine kleine Gruppe betroffener Eltern zur Selbsthilfe, weil in der weiteren Umgebung kein Pflege- oder Arbeitsplatz für ihre behinderten Kinder zu finden war. Mit mehr als 5000 freiwilligen Arbeitsstunden und einem finanziellen Einsatz von S 500.000,-bauten die Eltern eine alte Volksschule in eine Behinderten-werkstätte um, die sie seither als Verein selbst weiterführen. Die Behindertenvorsorge in dieser Region wurde dadurch spürbar entlastet.

Trotzdem ist es keineswegs selbstverständlich, daß Selbstorganisation in der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich dominierend werden könnte. Es ist offensichtlich, daß das angelsächsische Vorbild kaum unverändert übertragbar ist. Die Trägheit des Österreichers, die vielfach als sprichwörtlich für seine Mentalität gilt, könnte eine schwer zu überwindende Barriere für ein breites Anwachsen von Eigeninitiative darstellen. Die eingangs zitierte Umfrage würde eine solche pessimistische Ansicht nur bestärken.

Dennoch sollte man sich vor allen raschen Pauschalurteilen auch in dieser Beziehung hüten. Vergleicht man die politische Diskussion des Jahres 1980 mit der zu Beginn der siebziger Jahre, so merkt man, daß auch in Österreich ein Potential an „aktiven Bürgern" besteht.

Wer hätte es vor zehn Jahren gewagt, die Entwicklung zahlreicher Bürgerinitiativen in den verschiedensten Bereichen des politischen Lebens zu prognostizieren? Wäre damals nicht auch der Einwand der „österreichischen Mentalität" berechtigt gewesen?

Die Ähnlichkeiten zwischen Bürgerinitiativen und Selbstorganisation sollten auch die Politiker aufhorchen lassen. Nicht von ungefähr gibt es gerade in Graz die meisten Bürgerinitiativen in Österreich, weil sich dort durch die Kommunalverwaltung eine Art positives politisches Klima für diese Art des Bürgerengagements entwickelt hat.

Daraus läßt sich ersehen, daß die öffentliche Hand indirekt viel zur Entstehung von Selbstorganisation beitragen kann. Daß Selbstorganisation darüber hinaus auch einen hohen Eigenwert für den hat, der sich engagiert, könnte in einer Zeit, wo viele Menschen nach „sinnvollen" Tätigkeiten suchen, ein weiterer positiver Anreiz sein.

Ein Szenario, wonach sich gesellschaftliche Selbstorganisation auch in Österreich als Gegenpol zur staatlichen Bürokratie aufbaut, ist daher durchaus keine Utopie: Langsam fortschreitende Einstellungsänderungen (im Sinne einer Fortentwicklung der Bürgerinitiativbewegung) und zunehmende Sachzwänge (die aus der Finanzkrise öffentlicher Haushalte resultieren) bilden die realistische Grundlage einer solchen Hypothese.

(Dr. Christoph Badelt ist Universitätsassistent am. Institut für Sozialökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien)

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