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„Umkehr der Lohnpyramide” in Theorie und Praxis

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Die Art und Weise, wie Sozialisten zum „Leistungsprinzip” stehen, ist gut geeignet, den eklatanten Widerspruch zwischen sozialistischer Theorie und Praxis aufzudecken. In der Arbeitsunterlage zum neuen SP-Programm heißt es: „Einführung sozialer Leistungskriterien an Stelle des sogenannten «Leistungsprinzips, das nur das Privileg rechtfertigen soll, über die Leistung anderer zu verfügen.”

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Die Art und Weise, wie Sozialisten zum „Leistungsprinzip” stehen, ist gut geeignet, den eklatanten Widerspruch zwischen sozialistischer Theorie und Praxis aufzudecken. In der Arbeitsunterlage zum neuen SP-Programm heißt es: „Einführung sozialer Leistungskriterien an Stelle des sogenannten «Leistungsprinzips, das nur das Privileg rechtfertigen soll, über die Leistung anderer zu verfügen.”

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„Leistungsprinzip” (von dem er viel werden könnte, dürfte ja nichts ande- hält) zu schlagen: „Die klassenlose Ge- res bedeuten, als die Beseitigung von Seilschaft, wie sie tatsächlich realisiert Privilegien, die nicht auf Leistungen.

Gefordert wird konsequent: „Umkehrung der Entlohnungspyramide: Abstumpfende, entfremdende Arbeit sollte hoch entlohnt werden, nicht jene, die ohnehin mit Privilegien verbunden ist und deshalb angesehen ist.” In der „klassenlosen Gesellschaft”, so heißt es weiter, werde der Abbau des „unmenschlichen Leistungsdruckes” Realität sein.

Von Bundeskanzler Bruno Kreisky, zu dessen höherer Ehre dieses Parteiprogramm beschlossen werden soll, stammt ein Zitat, das den vorhin erwähnten Widerspruch betont: „In der Regierung”, so Kreisky, „gibt es einen beträchtlichen Leistungsdruck, ganz im Gegensatz zu den modernen Erziehungsmethoden, aber von denen halte ich nichts. Eine Regierung ist keine Erziehungsanstalt oder ein Verein für individualpsychologische Studien.”

Wenn das so ist - und vieles spricht dafür, daß es so ist -, dann müßte Kreisky vehement gegen die in allen SP-Programmen verpackte Ideologie auftreten. Schade, daß er es auch hier an Konsequenz fehlen läßt.

Fehlende Konsequenz ist leider auch ein großes Problem der Berichterstattung in der „Arbeiter-Zeitung”. Die Leitartikler auf der Seite 2 verdammen die Leistung, das Leistungsprinzip und den Leistungsdruck und zwölf Seiten weiter, im Sportteil, beklagt die Berichterstattung, daß ein bestimmter Fußballer, Schwimmer oder Skifahrer die in ihn gesetzten Leistungserwartungen leider nicht erfüllt habe. Damit eine bessere Leistung erbracht wird, wird mehr Training, schwerere Konkurrenz, größerer Leistungsdruck gefordert.

Der ÖGB-Funktionär Fritz Klenner bemüht sich in seinem jüngsten Buch „Denkanstöße zum Überleben”, eine Brücke zwischen klassenloser Gesellschaft (von der er nichts hält) und beruhen. Wenn aber die klassenlose Gesellschaft die Leistung anerkennt, so entstehen soziale Schichten mit durchaus verschiedenen Interessen.”

Einerseits fordern die SP-Pro- grammautoren eine nivellierende Steuerpolitik, annähernd gleiche Einkommen für Universitätsprofessoren und Hilfsarbeiter und die Verbannung des Leistungsprinzips aus Wirtschaft und Gesellschaft, anderseits sind beispielsweise sozialistische Gewerkschafter sehr wohl bestrebt, mit ihrer Lohnpolitik die leistungsgerechten Unterschiede zwischen Hilfs- und Facharbeit, übrigens auch zwischen Frauen- und Männerarbeit, wenn schon nicht auszubauen, so doch zu zementieren.

Denn letztlich widerspricht die ÖGB-Forderung nach einem Abbau der Progression im Einkommensteuersystem der SP-Programmforderung nach annährend gleichen Einkommen ohne Berücksichtigung der ihnen zugrundeliegenden Leistungen, ist doch die Progressionswirkung der Ausdruck unterschiedlicher Einkommen.

Es muß überraschen, daß Sozialisten mit diesen Widersprüchen leben können. Auch ihr Hinweis darauf, daß das Programm „konkrete Utopien” enthält, die erst nach jahrzehntelanger sozialistischer Herrschaft verwirklicht werden können, kann nicht befriedigen.

Bald sechzig Jahre währt die Herrschaft der werktätigen Klasse in der Sowjetunion. Nach wie vor gilt dort das Leistungsprinzip in Wirtschaft und Gesellschaft alles. Es macht aus fleißigen Männern Stächanowisten, „Helden der Arbeit”, und aus trainingsbesessenen Leuten „Helden des Sports”. Das alles firmiert unter dem Gütesiegel Karl Marx, hier wie dort.

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