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Wie groß ist die Nostalgie der Einwanderer?

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Eine der für die Auslandsarbeit aller Regierungen wichtige Frage ist es, wie eng die Bindung der Ausgewanderten zu ihrem Heimatland bleibt. Es gibt für diese Bindung zahlreiche Beweise, die überraschen, aber nicht verallgemeinert werden dürfen. So gibt es in Chicago zahlreiche deutsche Vereine; aber in dem Schmelztiegel der USA geht die Integration besonders schnell vor sich. In Lateinamerika, wo in Südbrasilien, Südchile und Argentinien insgesamt zwei Millionen deutscher und deutschstämmiger Menschen leben, vollzieht sich der Assimilationsprozeß langsamer als im Norden des Kontinents. Es ist bezeichnend, daß in einem der kleinsten Länder’Latein-’ amerikas, in Uruguay, fast alle aus Deutschland stammenden rund 10.000 Menschen noch heute einen Paß ihres Ursprungslandes besitzen. Damit ist aber die Frage nicht beantwortet, inwieweit sie sich mit der politischen Entwicklung „drüben“ befassen. Für diese bisher auch nicht empirisch erfaßte Problemstellung gaben die spanischen Wahlen zum ersten Mal ein interessantes Beispiel.

Die Bevölkerung Argentiniens und Uruguays besteht zu 90 Prozent aus spanischen und italienischen Einwanderern und deren Abkömmlingen. Diese Gruppen führen ein beachtliches Eigenleben mit großen sozialen Vereinigungen, separaten Krankenkassen und Spitälern. Die Spaltung zwischen spanischen Republikanern und Franco-Anhängem übertrug sich auf die lateinamerikanischen Organisationen der Spanier. Die Demokratisierung Spaniens hätte einen noch größeren Widerhall gefunden, wenn nicht in Argentinien und Uruguay Militärregierungen an die Macht gelangt wären und die Presse beherrschten. Die emotionelle Bindung der Spanier an ihr Heimatland und an ihre Kultur hätte eigentlich erwarten lassen, daß ein beachtlicher Teil von ihnen an den Wahlen teilnehmen würde. Aber von den etwa eineinhalb Millionen Spaniern in Argentinien schrieben sich nur 4000 in das Wahlregister beim Konsulat ein; von 80.000 Spaniern in Uruguay nur etwa einhundert. Von dem Recht, zur Wahl nach Spanien zu fliegen, machten nur ganz wenige Gebrauch. Doch mug hier der Umstand mitgespielt haben, daß die WaRfif’Wf sechzigprozentiger Flugermäßigung immernoch 450 Dollar für die Passage zahlen mußten und, bei sonstigem Verlust der Ermäßigung, nur 10 Tage im Lande bleiben durften. Auch spielt das politische Niveau der Emigranten eine gewisse Rolle. Das Gros der nach Lateinamerika ausgewanderten Spanier besteht aus Mitgliedern der unteren Schichten, hat aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen und in Lateinamerika sein Auskommen gefunden. Die Gruppe politisch gebildeter Spanier, die auf der Flucht vo r dem Franco-Regime nach Südamerika auswanderte, ist im Verhältnis zur Gesamtzahl gering. Sie ist außerdem überaltert oder ausgestorben. Da in Spanien seit 41 Jahren keine Wahlen stattgefunden hatten, konnten sich überhaupt nur noch Sechzigjährige an die politische Tradition ihrer Jugend erinnern.

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