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Ein neues Guardini-Buch

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Jeder, der sich um die Weiterentwicklung unseres Zeitalters Sorgen macht, sollte diese kleine Schrift lesen, da sie die offensichtlichen Krankheiten dieser Epoche aufdeckt, die richtige Diagnose stellt und — was noch wichtiger ist — auch das entsprechende Heilmittel vorschreibt. Dieses Buch ist also die Fortsetzung jener großartigen Diagnose, die uns Guardini in seinem „Ende der Neuzeit' geschenkt hat.

Besser als wir, kennt Guardini die modernen Krankheiten: die Technisierung, die.Vermassung und das Zurücktreten der individuellen Verantwortung, aber es ist das Hauptverdienst dieses „Versuchs“, daß er dem Grundzug unserer Epoche auf die Spur geht, aus dem die obenerwähnten Erscheinungen hervorgegangen sind. Dieser Grundzug ist das überhandnehmen der Macht in jeder Form, in jedem Bereich und in immer steigendem Umfang. Die menschliche Macht über die Natur und über die Mitmenschen ist so sehr gestiegen, daß unsere Aufgabe nicht mehr in der Steigerung der Macht zu suchen ist, sondern in deren Bändigung. Denn ihrem Wesen nach ist Macht nicht die sinnlose Zusammenballung von Energien und Kräften, sondern deren Sinngebung — zum Guten oder zum Bösen, Obwohl es heute den Anschein hat, daß Macht zu etwas Unpersönlichem, Anonymen geworden ist, bleibt die Tatsache bestehen, daß sie letzten Endes in der Persönlichkeit, in der Erkenntnis und der Willensentscheidung verankert ist und daher an der menschlichen Verahtwortung gebunden bleibt.

Wesen und Wert der Macht ist nicht in ihrer Übersteigerung gelegen, sondern in ihrer sinnvollen Lenkung. Macht an sich ist weder gut noch schlecht; sie wurde dem Menschen von Gott gegeben, damit er „herrsche" über die Erde (s. Gen. Kap. 1—2). Nach christlicher Ansicht kann sie sich nur richtig in Demut äußern, denn diese ist nicht Schwäche, sondern Kraft. Am deutlichsten offenbart sich dies in der „Kenosis", der Selbstentäußerung, von der Paulus spricht (Phil. 2, 5—8).

Das Wertvolle an dieser Schrift ist, daß Guardini die Madit als solche nicht verurteilt, sondern sie gerade aufgreift, damit durch eine richtige Anwendung eben diese Macht der

Gesundung zugeführt werden kann. Diese Gesundung besteht darin, daß wir die Macht von ihrer unpersönlichen Triebkraft befreien und wieder mit persönlicher Verantwortung füllen. Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen und deshalb nicht versuchen, als Kultur- und Zivilisationspessimisten die Macht zu verurteilen oder zu verneinen, sondern wir müssen uns der Macht „ermächtigen". Wir müssen uns davon überzeugen, daß auch heute noch der Mensch vom Geist bestimmt wird, daß die Geschichte nicht von selbst vor sich geht, sondern „getan“ wird. Darum soll der heutige Mensch das volle Maß seiner Verant wortung erkennen und im Geiste einer neuen „Metanoia“ wieder Zeit finden für eine kontemplative Haltung. Er muß wieder lernen, in die Tiefe zu gehen, sich zu sammeln, damit er sich auf das Wesen der Dinge und des Geschehens besinnen kann. Dadurch erreicht der Mensch die so notwendige „Herrschaft“ über sich selbst und findet er den richtigen Weg, auch über die Mitmenschen und die Umwelt zu herrschen — in echter Demut, Askese und Metanoia. In dieser wieder erworbenen Freiheit wird er die Macht besitzen, die neuzeitliche Kräftesteigerung zu bändigen und zu1 lenken.

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