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Ordnung und Freiheit

19451960198020002020

Materialien und Reflexionen zur Grundlage des Soziallebens. Von Alfred v. Martin. Verlag Josef Knecht, Carolusdruckerei, Frankfurt am Main. 346 Seiten. Preis 14.80 DM

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Materialien und Reflexionen zur Grundlage des Soziallebens. Von Alfred v. Martin. Verlag Josef Knecht, Carolusdruckerei, Frankfurt am Main. 346 Seiten. Preis 14.80 DM

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In einer trotz scheinbar verschiedenartiger Thematik doch in einem großen Zusammenhang stehenden Sammlung von Aufsätzen nimmt der bekannte deutsche Soziologe, von dem bereits unter anderem eine ausgezeichnete soziologische Analyse der Renaissance vorliegt, zur Frage von Ordnung und Freiheit Stellung. Freiheit und Ordnung sind an sich und je für sich etwas Notwendiges, sie scheinen einander aber doch, in einem Zusammenhang gesehen, auszuschließen. So hat es den Anschein, daß Freiheit, als ein Konkretes, in sich den Trend zum Chaos trägt, wenn sie eine massenweise Möglichkeit spontaner Betätigung des Menschen ist. Ebenso kann eine Ordnung wegen der Defektheit der menschlichen Natur nur im Widerspruch gegen den Anspruch auf Freiheit durchgesetzt werden. Der Widerspruch ist aber ein scheinbarer. Freiheit und Ordnung sind nicht Wert an sich, sie sind nicht absolut durchsetzbar, sondern stets unter Bedachtnahme auf das gemeinsame Wohl und den Menschen zu sehen. Wo Freiheit eine Gegenfreiheit aufhebt, wo Ordnung sich als Zwang konstituiert, ist sie sinnlos. Jedenfalls ist die Folge einer Absolutsetzung, sowohl der Ordnung wie der Freiheit, der Ansatz zur Herausbildung von Willkür, es möge diese oder jene Ideologie zur -Verdeckung gebraucht werden.

Was zum Themenkreis etwa im Kapitel „Soziologie der Moral" gesagt wird, in der Bloßlegung dessen, was hinter den Ideologien steht, ist ebenso wertvoll wie die Abhandlung über die Moral in der Situation der Krise, in welcher der Mensch sich aus Not anpaßt, wobei er gleichzeitig diese Not zur Tugend zu erheben sucht (S. 80).

Im Aufsatz „Der Mensch und die Technik“, der, dem sachlichen Gehalt nach, wohl ein ganzes Buch zu füllen vermöchte, verweist ,der Verfasser darauf, daß nicht die Technik, wohl aber ihr Gebrauch die Annahme rechtfertigt, daß votį einer „Dämonie" der Technik gesprochen werden kann.

In der Abhandlung „Ratio und Dynamik der kapitalistischen Entwicklung“ gibt Professor Martin Hinweise auf die religiöse Verklärung des Berufes bei Luther (S. 126) und schließt dem eine Schilderung des Prozesses der Einflußnahme des Calvinismus auf den frühen Kapitalismus an. Gerade mit Rücksicht auf die Entwicklung einer naopuritanischen Gesellschaftsordnung im Osten sind die Schilderung der „Arbeitsfreude" in der vom Calvinismus geformten ersten Wirtschaftsgesellschaft von aktueller Bedeutung, ebenso wie die Frage der „Arbeitsaskese“.

In einer Darstellung der' Soziologie der Revolutionen, die es als sozialökonomisches Phänomen erst seit dem Bestehen der modernen Klassengesellschaft gibt, führt Martin den Beweis, daß die Revolutionen gleichsam naturgesetzliche Entwicklungen zeigen, so daß etwa die bei vielen revolutionären Ausbrüchen geforderte Gleichheit lediglich am Anfang der Aktion stehen kann, daß sich aber nach dem -eventuellen Gelingen des revolutionären Vorhabens unverzüglich eine Gruppe an die Spitze setze und neuerlich eine Hierarchie herausgebildet werde, so daß man mit Landauer (zit. S. 131) sagen könne, daß Revolutionen nie ihr Erstziel erreichen.

In seiner Untersuchung der Beziehung von Mensch und Gesellschaft kommt Martin auf die verdeckte Moral bei Marx zurück, der in der bestehenden Un- Ordnung Un-Moral sieht und diese durch eine Etatisierung der Moral zu überwinden sucht. Die Freiheit kann in einem solchen Fall freilich nur eine kollektive (eine abstrakte) sein und die Ordnung eine Sache herrschaftlicher Verbände.

Den Abschluß des inhaltsreichen Buches bildet eine Wissensoziologische Untersuchung („Abriß einer Soziologie der Intelligenzschichte").

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