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Reportage über China

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China ist — wie man nun wahrnimmt — mehr als eine Form der kommunistischen Expansion in Asien, es ist mehr als Kommunismus in der Darstellungsweise von Chinesen und keineswegs ein Satellit Rußland. Im Ansatz ist wohl der Marxismus, sein Bemühen, die „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ vom Grunde her unmöglich zu machen, das Konzept. Wie oft schon erweist sich aber, neuerlich am Beispiel Chinas, daß das, was wir als Sozialismus verstehen, eine europäische, man möchte fast sagen eine „abendländische“ Angelegenheit ist, ein Protest, der nur verstanden und ausgeführt werden kann, wenn vorher christliche Denkweisen vorhanden waren. All das fehlt in China.

Louis Barcata, Berichterstatter deutschsprachiger Tageszeitungen, legt nun, als Ergebnis eines China-• aufenthaltes, einen Bericht vor, der zwar das Leben und die Organisationsweisen im „neuen“ China schildert, im Prinzip aber vor allem einen Vergleich des Kommunismus in China und Rußland darstellt.

Im Vergleich wirkt Rußland bereits liberal, vielleicht aber europäisch. Den Russen, die bereits mehrheitlich im Erlebnisbereich des Kommunismus aufgewachsen sind, ist China fremd, es ist ihnen aber auch fremd, weil es in seiner Konsequenz, in der Art, wie es den Kommunismus versteht, eine völlig andere Art des Marxismus zu bieten gewillt ist.

Was der Autor in China gesehen hat, ist nun vor allem die Oberfläche. Verständlich, wenn man bedenkt, daß es kaum möglich ist, die chinesische Wirklichkeit von 650 Millionen Menschen. zu erfassen.

Nicht untersucht wurde die Frage, warum China den von ihm gewählten Weg des Kommunismus gegangen ist, warum es nicht versucht hat, andere Formen des Überganges zu finden. Nicht untersucht wurde die Frage, ob China eine andere Möglichkeit gehabt hat, die uralten feudalen Wirtschaftsformen anderswie zu überwinden als durch den Sozialismus, als durch die Etatisierung der Produktionsmittel. Eine Situation, in der 20 Millionen „gut situiert“ waren und 580 Millionen „Bettler“ (S. 141), bedurfte einer Reparatur. Daß diese Reparatur in einer Weise vollzogen wurde, die uns unverständlich ist, das ist eine andere Frage. Gerade weil wir Österreicher in Sachen des Kolonialismus unbefangen sind, können wir leichter als andere auch auf das koloniale Erbe in China verweisen, auf den Tatbestand, daß die Herren des alten China, Weiße und Gelbe, es nicht vermocht haben, Ansätze zu schaffen, die einen unblutigen Übergang ohne Marxismus in eine neue Gesellschaftsordnung möglich machen konnten.

Ein lesenswertes Buch, amüsant, aber keine Dokumentation, eine Reportage, die vor allem wegen des Vergleiches China—Rußland interessant ist.

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