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Auswirkungen der Malaise

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Aus all den oben dargestellten und noch anderen Verletzungen der nationalen oder der Psyche politischer oder Volksgruppen setzt sich der Untergrund der Malaise um die österreichische Landesverteidigung zusammen. Sie — die Malaise — ist um so ernster zu nehmen, als sie emotionale Phänomena in sich birgt. Ist doch auch die selbstverständlich-positive Haltung, welcher die Landesverteidigung beim Volke bedarf, gleichfalls emotional gebunden. Anderseits besteht aber Politik — und so auch Verteidigungspolitik zu einem guten Teil in der Umsetzung gefühlsmäßiger Haltungen im Volk. So brachte es die Malaise mit sich, daß selbst die Regierungsmehrheit und die Partei, welche den Verteidigungsminister stellt, nur lauwarmen Anteil am Geschick der Landesverteidigung nahmen. Auf der anderen Seite beteiligten sich ., sozialistische Führer, Abgeordnete und Funktionäre trotz oft tiefer Einsicht in die elementare Bedeutung der Landesverteidigung kaum oder nur in geringerem Ausmaß als bei anderen öffentlichen Angelegenheiten an ihrer Gestaltung.

So war es kein Wunder, daß das finanziell unterernährte Heer, als die alliierte Erbschaft aufgebraucht war, Defekte aufwies, welche auch die von den Traumen der Älteren unibelasteten mittel jungen Jahrgänge skeptisch stimmten. (Die ganz Jungen werden immer und viel mehr von den Traumen und Vorurteilen der Väter angesteckt sein.)

Was Wunder, daß der mit seinem Ressort praktisch alleingelassene Minister sich auf innerministerielle Personalpolitik stützte. Daß der Ministerialbetrieb dadurch leicht parochial wurde. Daß die höheren Offiziere und auch die unteren Kader sowieso zur Mehrheit aus der Deutschen Wehrmacht gekommen, mangels der geistigen Infusionen, die ihnen von den politischen Repräsentanten des Landes hätten zukommen sollen, beim Erbgut aus der deutschen Vergangenheit Zuflucht suchten. Das färbte sich auch auf die konzeptionellen Vorstellungen mancher ab. Im Aberglauben an das Alpenfestungskonzept, und im Unglauben an die Flächenverteidiigung jener Gebiete Österreichs, in denen zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben. In einem betont unkleidsamen Uniformstil, der nicht nur weit entfernt ist von der Informalität der heutigen Jugend, sondern auch von dem sportlichen Idealtyp, der nicht das Schlechteste ist, was das junge Österreich hervorgebracht hat. Trotzdem ging es mit dem Heer viel,viel besser, als man unter all diesen Umständen hätte erwarten können. Ein bestimmtes Ausmaß von Effizienz durch asketische Hingabe ams Waffenhandwerk. Mit dem (legistisch verursachten, viel zu langsamen) Aufkommen jüngerer Jahrgänge in die Führung tritt nun auch modernes strategisches Denken zutage. In den dreizehn Jahren seines Bestandes kein Fall flagranten Treubruches im Sinne der hiüerdeutschen Vergangenheit. Irgendwie hat sich das Heer seinen eigenen österreichischen Patriotismus zurechtgezimmert.Chance für einen neuen Anfang erhalten. Damit ist jedoch nicht das Sofortprogramm der ÖVP gemeint, das sich ausschließlich mit den —* zu berechtigten — praktischen Wünschen des Heeres beschäftigt. Die Erfüllung einiger dieser Wünsche könnte sogar helfen, der Malaise entgegenzuwirken. So könnten durch eine Vergrößerung der unteren Kader die berüchtigten Leerläufe im Präsenzdiienst vermieden werden. Das Sofortprogramm dar ÖVP sieht jedoch nichts vor, das uns die geistig politischen Grundlagen böte für das, was ich die selbstverständlich-positive Haltung des Volkes zur Landesverteidigung nannte. Dergleichen kann auch durch ein neues Public-Relation-Department nicht erreicht werden. Das hieße die Dinge denn doch sehr oberflächlich und synthetisch sehen. Wir bedürfen für die Linderung der Malaise der Zusammenarbeit aller politischen Meinungsträger — einer Zusammenarbeit, die in Ausmaß, Formen, Permanenz weit über die gelegentlichen Zusammenkünfte der politischen Führer und der Beratungen des Wehrauisschusses im Parlament hinausgeht. In dem auf dieser Seite wiedergegebenen Interview liefert Dok-tor Kreisky trotz mancher Vorbehalte wichtige Hinweise sowohl auf Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf diesem vom innerpolitischen Kampf fernzuhaltenden Gebiete wie auch auf Formen, mit deren Hilfe für die Landesverteidigung eine echte nationale Kohäsion erreicht werden könnte.

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