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60 Jahre Nato: Das Zürcher Weltblatt würdigt die historischen Verdienste der westlichen Allianz, sieht aber auch gefährliche Tendenzen.

Niemand kann bestreiten, dass die atlantische Allianz in ihrer 60-jährigen Geschichte eine Vielzahl von Errungenschaften hervorgebracht hat, die Respekt verdienen und Anlass zu tiefer Genugtuung sind. Nicht zuletzt dank der Nato hat Westeuropa den Kalten Krieg überlebt und nach den Verheerungen der Hitler-Diktatur jene Vitalität und jene Attraktivität erlangen können, mit denen es vier Jahrzehnte später sogar die Spaltung des Kontinents zu überwinden vermochte.

Die Nato war nicht bloss eine militärische Antwort auf die Bedrohung durch das sowjetische Machtstreben, sondern auch ein überzeugendes politisches Programm. Sie hat tiefe Gräben in Westeuropa überwunden und dank ihrer demokratischen Kultur eine weit nach Osten ausstrahlende Vorbildrolle erlangen können. So ist es kaum verwunderlich, dass die Allianz die Wende von 1989 überlebt hat, während ihr östliches Gegenstück, der Warschaupakt, in sich zusammenbrach wie morsches Gebälk. Ebenso wenig erstaunlich war die atemberaubende Neuorientierung der jungen osteuropäischen Demokratien weg vom sowjetischen Herrschaftsbereich. Für sie war die Nato wie ein Fangnetz für den Sprung in eine sichere und freie Zukunft - vielleicht die eindrücklichste Anerkennung für ein Modell, das 1949 in Washington mit viel Weitsicht und Überzeugung geschaffen worden war.

Selbstzufriedene Westeuropäer

Aber sosehr die Erweiterung des Bündnisses auf demnächst 28 Mitglieder eine wichtige Facette des gesamteuropäischen Einigungsprozesses ist, so schonungslos hat sie auch eine der grundlegenden Schwächen der Nato blossgestellt. Die längst selbstzufrieden gewordenen Westeuropäer mussten erkennen, dass das Interesse der östlichen Partnerländer nicht ihnen galt, sondern den USA, der alles überragenden Führungsnation in der Allianz, von der bis heute alle Sicherheit ausgeht. […]

Dieser inhärente Konflikt, der beim Jubiläumsgipfel durch französisch-deutsche Rituale des Selbstlobes übertüncht werden wird, dürfte die Allianz auch in Zukunft prägen. Nach den Bewährungsproben des Kalten Kriegs und der Erweiterung um die osteuropäischen Neumitglieder ist das atlantische Bündnis mit einer neuen Lage konfrontiert. Die Nato ist nolens volens zu einer globalen Akteurin geworden. […]

Appeasement gegenüber Russland

Damit aber stösst sie an eine Vielzahl von Grenzen. Der islamistisch geprägte Terror zwingt ihr andersartige Doktrinen und Verhaltensregeln auf, die den Zusammenhalt im Bündnis auf eine neue Probe stellen und alte Differenzen verschärfen werden. So hört man im afghanischen Kontext von der "Dreckarbeit", die die einen verrichten, während sich andere mit "bewaffneter Entwicklungshilfe" über die Runden bringen. Und in zeitgeistigen Debatten tauchen immer öfter Sicherheitsbegriffe auf, die mit ökologischen, klimatischen oder energiepolitischen Argumenten vom Hauptproblem abzulenken versuchen.

"Soft Power" freilich ist immer mehr zur Metapher für einen europäischen Idealtypus von moralisch erhabener, aber risikoscheuer Sicherheitspolitik geworden, deren diplomatisches Kalkül recht schamlos davon ausgeht, dass die Amerikaner schon eingreifen werden, wenn es einmal wirklich brennt. Unter dieser Prämisse findet seit einiger Zeit auch eine bis zum Appeasement reichende Anbiederung an Russland statt, dem einige europäische Nato-Länder - und nicht die kleinsten - am liebsten gleich die Mitgliedschaft andienen würden. Die neue, magische Losung heisst "Einbindung um jeden Preis". […]

* "Neue Zürcher Zeitung", 28. März 2009

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