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Die Idee der „Umleitung“

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So können wir keineswegs zur Grundlage und zum Ausgang unserer Verteidigungspolitik die Annahme machen, daß unser Land nur als eine Art von Durchzugsland für Aggressoren gegen andere unserer Nachbarländer in Betracht kommt, wie das Oberst Duič in seinem Artikel und übrigens auch das Ministerium für Landesverteidigung in seinem bekannten „Umleitungs“- Plakat nahelegen. Wir verstehen, daß es unsere Militärs derzeit nicht leicht haben und daß sie auf diese Weise die Landesverteidigung den wehrunwilligen Elementen näherbringen wollen. Es wirkt jedoch ganz und gar nicht so und nicht überzeugend. Man spürt oder vermutet zu sehr die Absicht, mit dieser „Umleitung“ den Widerstand im Land „umzuleiten“. An dem Punkt der Dinge, an dem wir uns derzeit befinden, können wir es unseren Landsleuten sowohl aus wehrpolitischen wie -erzieherischen Gründen nicht ersparen, sich mit den tatsächlichen grundlegenden, elementaren Motiven der Landesverteidigung zu konfrontieren. Und wir dürfen daher deren Aufgaben weder verkleinern noch verniedlichen. Der Kampf iim eine adäquate Landesverteidigung ist nur ein Teil des noch nicht ausgekämpften Kampfes um unser Volk und Land als Nation, um sein Selbstverständnis. Hierin aber ist die Landesverteidigung und ihre volle Anerkennung ein wichtiger Garant unserer gesamten Existenz.

Hat es nur kommunistische Partisanen gegeben?

Oberst Duič behauptet, daß das von mir vertretene „Insekten“-Kon- zept Ausweichen und Abwarten unserer Verteidigungskräfte auf günstige Angriffsgelegenheiten und somit auch ein tiefes Eindringen eines Aggressors in unser Territorium, ja dessen Okkupation voraussetzen. Gegenüber seinem Igelbild vermittelt das meinige jedoch vor allem Mobilität und damit für ein kleines Land mit so geringer Bevölkerungszahl maximale Sicherung seiner menschlichen Verteidigungskräfte, in die freilich der größte Teil des Volkes noch lange vor dem Ernstfall einbezogen werden muß. Militärisch lautet das Prinzip: So viel als möglich angreifen, und sich so wenig als möglich dem Gegner darbieten. Politisch bedeutet es: Auf allen seelischen und politischen Gegebenheiten des Landes beruhen. Ein solches Konzept geht weiter als etwa das des jugoslawischen Befreiungskrieges von 1941 bis 1944, der infolge einer kommunistischen Führerschaft seine spezielle Problematik besaß; so geschickt jene auch das nationale Anliegen in den Vordergrund rückten, vermochten doch die besitzfreundlichen oder kulturell westlich orientierten Teile des Volkes nicht zu vergessen, daß jene Kommunisten waren. Die Vergleiche, die Oberst Duič weiter mit den russischen Partisanenkämpfern sowie den französischen Maquisarden und norditalienischen Partisanen anstellt, treffen deshalb nicht zu, weil all jenen rein ergänzende Hilfsaufgaben im vom Feind besetzten Territorium zufielen,

Was möglicherweise Schweizer und auch andere gegen das „In- sekten“-Konzept voreingenommen macht, ist, daß es scheinbar bisher nur von kommunistischen Strategien in Anspruch genommen wurde. Ein Blick in die Vergangenheit, auf eine lange Reihe von oft sogar höchst konservativen Zielen dienenden Volkskriegen — wie etwa dem spanischen gegen Napoleon und unser Tiroler Aufstand sowie zum Beispiel die Konzeptionen Erzherzog Karls und Stadions belehren uns eines anderen. Auch sie sahen voraus, was heute zur Tatsache geworden ist: daß kein Krieg und auch ein von einem „Durchzugsland“ geführter nicht, wie die Art der Besatzungsregime in Belgien und Holland im letzten Krieg bewiesen hat — nur noch militärisch geführt werden konnte.

Wir sollten es besser wissen

Wir, mit unseren Erfahrungen, sollten das besser als manche andere wissen. So reichen denn auch „Schutz der Grenzen“ und „Verteidigung der Neutralität“ schon lang nicht mehr als programmatische Verteidigungsziele aus. Alle Aggressionen der letzten Jahrzehnte haben in Wahrheit an die innerste Seele der attackierten Völker gegriffen. Wenn man will, kann man hierin auch eine Widerlegung der Annahme finden, daß das „Insekten“-Konzept nicht das Eindringen des Gegners und die Okkupation des Landes zur Voraussetzung hat. Es zieht allerdings in Betracht, daß kaum eine Aggression heute mehr an den Landesgrenzen beginnt, sondern sehr wohl im Innersten des Landes an einem für den Angreifer geeigneten und präparierten Punkt oder an einer Mehrzahl solcher Punkte. Und das gilt nunmehr nicht nur militärisch, sondern auch politisch;

Die Entwicklung der politischen wie der Kriegstechnik hat damit zu tun, wie der viel tiefer denn je zuvor gehende ideologische Charakter der außenpolitischen Auseinandersetzungen. Wir verteidigen daher in erster Linie uns selbst, unser Land, unsere Kultur, unsere Lebensweise, unsere demokratischen Einrichtungen. Sicherlich verteidigen wir auch unsere Neutralität, aber da sie nur das Mittel ist, mit dem wir uns davor schützen, in Kriege anderer hineingezogen zu werden, können wir unsere Neutralität nur so lange verteidigen, bis wir 7.11m Opfer eines Angriffs geworden sind. Wenn es zu dem gekommen 1st, was verteidigen wir dann? Eben doch jene essentiellen Dinge, die wir vor anstellen müssen, wenn wir dem Volk die ganze Bedeutung der Landesverteidigung klarmachen wollen.

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