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Wir und der „Igel“
Die Sommerferien sind zu Ende und als eine der wichtigsten Angelegenheiten — wenn nicht die wichtigste der kommenden Nationalrats- sessdon — steht vor dem Land, auf Grund des sogenannten Regierungsberichtes über seine künftige Wehrpolitik zu beraten und zu beschließen. „Sogenannt“ ist der Bericht deshalb, weil er durchaus nicht eine beratene und beschlossene Auffassung der Regierung über unsere Verteidigungsjpolitik ausdrückt, sondern lediglich Tatsachen und gewisse Thesen vermittelt, die vom Ministerium für Landesverteidigung gesammelt und bereitgestellt worden sind. Die Pressekommentare zum Bericht knapp vor den Ferien haben mit wenigen Ausnahmen, zu denen die „Furche“ gehörte, lediglich Erstaunen oder Bestürzung über den Stand der Landesverteidigung geäußert, Ohne aber konzeptionell und fachlich auf den Gegenstand einzugehen. Innerhalb der Parteien hat unseres Wissens noch keine breite Erörterung des Berichtes stattgefunden, und so besitzen auch sie noch keine beratene und beschlossene Meinung zur Landesverteidigung. Man müßte somit der bei uns ‘ständig vorhandenen Gefahr begegnen: daß auch dieser Gegenstand, der von elementarer Bedeutung ist und so viel profunder Kenntnis- und Gewissenserforschung bedarf, schließlich mit der oberflächlichen Hast der tagespolitischen Kämpfe und ihrer positionstaktischen Akzenterneuerungen und nicht nach gründlichem Studium der hier so weitreichenden Kenntnis- werte behandelt wird.
Problematische „Kriegserfahrung“
Die zweite Gefahr für die Kon- zipierung der Wehrpolitik liegt bei den Militärs selbst. Noch jedes Heer — mit Ausnahme vielleicht der in großen Revolutionen entstandenen, die ihre militärischen Konzeptionen und Führer unter dem Hochdruck sozialer Umwälzungen improvisieren und neu kreieren mußten — hat darunter zu leiden gehabt, daß seine Führer und Strategen in Begriffen des vorhergegangenen Krieges zu denken pflegten. So ist es kein Geheimnis, daß auch manche unserer Militärs noch immer stark unter dem Einfluß von Auffassungen der deutschen Wehrmacht stehen, in der sie zuweilen zwar nicht mehr die Theorie, wohl aber die Praxis des Kriegshandwerks erlernt haben. Man nimmt es daher mit einiger Freude zur Kenntnis, wenn Oberst des Generalstabes Dr. Duič in seinem kürzlich in der „Furche“ (Nr. 35/29. August 1964, „Insekten oder Igel?“) erschienenen Artikel, mit dem ein früherer dieses Autors im gleichen Blatt (Josef Toch: „Von den Insekten lernen", „Furche“ Nr. 30) beantwortet wird, anscheinend Konzeptionen der schweizerischen Landesverteidigung in Anspruch nimmt. Vor allem stellt Oberst Duič dem vom Autor entworfenen strategischen Leitbild des Kampfes des „Insektenschwarms“ dasjenige in der schweizerischen Landesverteidigung angeblich geltende Leitbild des „Igels“ entgegen.
Als militärischer Begriff ist uns die Igelstellung bereits aus dem zweiten Weltkrieg bekannt. Sie wurde zuerst von der Roten Armee während der zweiten Phase ihrer Rückzüge entwickelt und angewandt
— damals, als Stalin der noch zu keinem großen Angriff fähigen Armee sein „Keinen Schritt mehr zurück!“ anbefahl. Die militärischen Einheiten wurden damit angehalten, auch wenn sie vom Gegner überrannt wurden, Inseln im feindlichen Strom zu bilden, um dessen Vorwärtsbewegung zu hemmen und so weit als möglich aufzuhalten. Später, als das große Laufen bei der deutschen Wehrmacht begann, igelten sich deren Kräfte gleichfalls häufig auf den Rückzügen ein, um sich, so gut es ging der über ihnen zusammenschlagenden Fluten der vorrückenden Sowjetarmeen zu erwehren. Die Igelstellung heute zur Seele einer ganzen Landesverteidigung zu machen, ist demnach nur eine Umstülpung und Fortführung einer rein taktischen und keinen allgemeinen Zielen dienenden Maßnahme. Wie kommen die Schweizer dazu?
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