Aloisius

Wahl in Bayern: "Jetzt erst recht" oder der Fluch des Aloisius

19451960198020002020

Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt. Umfragen prognostizieren einen Rechtsruck, trotz oder gerade aufgrund Aiwangers Flugblatt-Affäre. Über eine der innovativsten Regionen Europas, in der die Angst vor dem Fortschritt umgeht.

19451960198020002020

Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt. Umfragen prognostizieren einen Rechtsruck, trotz oder gerade aufgrund Aiwangers Flugblatt-Affäre. Über eine der innovativsten Regionen Europas, in der die Angst vor dem Fortschritt umgeht.

Werbung
Werbung
Werbung

Die 1911 von Ludwig Thoma veröffentlichte Satire „Ein Münchner im Himmel“ erheitert in Bayern bis heute bereits die Kleinsten. Sie handelt von Alois Hingerl, einem gestandenen und vor allem grantigen Bayern, der stirbt und im Himmel landet. Hingerl wird dort zum „Engel Aloisius“ und ist quasi unintegrierbar. Er drangsaliert vom Petrus abwärts jeden den er trifft und stört mit seinem Unmut die heilige Himmelsgesellschaft.

„Ja, was ist denn da für ein Lümmel heroben?“, fragt dann irgendwann der liebe Gott und beschließt den Hingerl „abzuschieben“. Künftig soll er als himmlischer Bote regelmäßig vom jenseits ins diesseits pendeln, um der bayerischen Landesregierung göttliche Ratschläge zu übermitteln. Dieses Unterfangen scheitert allerdings bereits beim ersten Anlauf. Der Engel fliegt mit seinem Brief nicht auf direktem Weg in die Staatskanzlei, sondern macht am Hofbräuhaus Halt um sich vorher noch eine Maß zu genehmigen. Aus einer Maß werden zwei, dann drei, dann vier. Und noch heute soll er dort sitzen. „Und so wartet die bayerische Regierung bis heute auf die göttlichen Eingebungen…“, lautet dann Thomas Schlusssatz, für den er eine ordentliche Geldstrafe zu zahlen hatte.

Söder legte sich (zu) früh fest

Seine Kritiker zur Kasse bitten – das kann der amtierende bayerische Ministerpräsident heutzutage selbstverständlich nicht mehr. Und vermutlich würde das Team um Markus Söder gerade jetzt im Wahlkampfendspurt mit dem Rechnungen ausstellen gar nicht mehr fertig. Gleichzeitig versteht sich Söder ohnehin als Bewahrer der Meinungsfreiheit, die er von der „Cancel Culture“ bedroht sieht. Eine Haltung, die vor allem die ländliche Bevölkerung befürwortet, die ihm aber dennoch keine Rückkehr in die CSU-Alleinregierung bescheren wird. Wohlwissend sprach er sich daher schon früh für eine Neuauflage der Koalition aus CSU und Freien Wählern aus. Denn dass er weiterregieren wird und die CSU bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag stärkste Kraft wird, ist gesetzt.

Mit seiner frühen Festlegung war Söder allerdings schlecht beraten, brachte sich dadurch in die Bredouille. Die Flugblatt-Affäre seines Stellvertreters Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wurde dadurch auch zu seinem Problem. Er musste an seinem Vize festhalten, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Geschwächt hat ihn die Causa dennoch. Hubert Aiwanger indes brachte es damit zu einer bundesweiten, ja sogar europaweiten Bekanntheit. Was genau war geschehen? Die Süddeutsche Zeitung hatte aufgedeckt, dass Aiwangers Bruder Helmut zu Jugendzeiten ein den Nationalsozialismus verharmlosendes Flugblatt produziert haben soll. Einige Exemplare waren dann auch in der Schultasche des kleinen Huberts gefunden worden. Welche Rolle der heutige Vize-Landeshauptmann bei der Verteilung ebendieser Flugblätter gehabt hatte, ist bis heute unklar. Er selbst spricht von „Erinnerungslücken“, die ihm selbst seine größtem Fans nicht abnehmen und trotzdem nicht übel nehmen. Ganz im Gegenteil.

Durch die Debatte um seine Person sind Aiwangers Umfragewerte sogar gewachsen. Er wurde zum Symbol für eine Stimmung in der Gesellschaft, die mitunter problematisch anmutet: Dem Freistaat Bayern steht ein enormer Rechtsruck bevor.

Aiwanger spricht von ‚Erinnerungslücken‘, die ihm selbst seine Fans nicht abnehmen und trotzdem nicht übel nehmen.

Zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler gaben in Umfragen an, entweder für die CSU (37 Prozent, wird mittig-rechts verortet), die Freien Wähler (15 Prozent, gelten zunehmend als rechtspopulistisch) oder die Alternative für Deutschland (14 Prozent, rechtsextrem, wird vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet) zu stimmen. Die Sozialdemokraten können derzeit nur mit einem einstelligen Ergebnis (9 Prozent) rechnen, die Grünen mit lediglich 15 Prozent und die liberale FDP muss hoffen, überhaupt in den Landtag (Fünfprozenthürde) einziehen zu können.

Geringste Arbeitslosenquote

Politologen führen vor allem emotionale Gründe für diese Entwicklung ins Feld. Es sei das Gefühl „das Erreichte ist bedroht“, das in der Bevölkerung Oberwasser gewinne und von Populisten befeuert würde. Rational ist die Unzufriedenheit im deutschen Süden kaum zu erklären. Bayern ist das Bundesland mit der zweitstärksten Wirtschaftsleistung (nach Nordrhein-Westfalen) und eine der wirtschaftlich stärksten und innovativsten Regionen Europas. Die Automobilindustrie (BMW, Audi), der Maschinenbau, die Chemiebranche, die Informationstechnologie und der Tourismus treiben das Bruttoinlandsprodukt regelmäßig in die Höhe: 2022 lag es bei 716.784 Millionen Euro. Auch hat Bayern die bundesweit geringste Arbeitslosenquote (zurzeit 3,4 Prozent) und liegt damit weit unter dem deutschen Durchschnitt von 5,7 Prozent (Österreich: 5,9 Prozent).

Zudem ist Bayern in puncto Bildungspolitik in einer Vorreiterposition, nicht zuletzt, weil die Industrie hier stets Druck gemacht hat. Wer in Bayern maturiert und/oder studiert hat, erhält bis heute von vielen Arbeitgebern Vorschusslorbeeren.

Um zu verstehen, warum der Standort Bayern so glänzend dasteht, lohnt sich ein Blick zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten Firmen wie Siemens und Audi aus der sowjetisch besetzten Zone nach Bayern um. Zugleich nahm das Land fast zwei Millionen Vertriebene aus dem Osten auf. Die bayerische Regierung erklärte der damaligen Besatzungsmacht USA, dass Bayern die Industriejobs brauche, um die einheimische Bevölkerung und die Neuankömmlinge zu ernähren. Die Amerikaner sahen daraufhin von größeren Demontagen ab und die bayerische Industrie konnte schnell an die Produktion der Vorkriegszeit anknüpfen.

Was den Grant auslöst

Warum also konnte sich „rechts“ von der CSU genau jene offene Flanke etablieren, die Franz Josef Strauß immer verhindert wollte? (Dessen Mantra lautete: „Rechts von der CDU/ CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“) Weil der Erfolg von AfD und Freien Wählern, so unterschiedlich die Parteien sind, auf ähnlichen Faktoren basiert: Es geht gegen „die da oben“, gegen das Establishment. Es geht aber auch um die Ablehnung von allzu viel gesellschaftspolitischem Fortschritt. Bei der AfD ganz grundsätzlich: Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner fordert etwa getrennte Volksschulklassen von Muttersprachlern und Kindern mit Sprachproblemen sowie den sofortigen Rauswurf aller abgelehnten Asylwerber. Bei den Freien Wählern gibt es Politiker von der Sorte Hubert Aiwangers, die Reden wie diese in den Bierzelten schwingen: „Cowboy und Indianer sind ja jetzt rassistisch. Unsere Kinder dürfen sich nicht mehr als Indianer anziehen, dürfen aber zu Dragqueen-Lesungen gehen und sich als Dragqueen anziehen.“ Oder: „Hätten unsere Eltern und Großeltern nicht die Städte aufgebaut und die Straßen, dann könnten sich diese Klimaleute nicht hinkleben.“

Viele Bayerinnen und Bayern hören einfach zu gerne aus Politikermündern, was sie selbst am Stammtisch so daherreden und was bei ihnen einen Grant auslöst. Da macht man schon mal eine Gaudi über Sachverhalte, die in Wahrheit bierernst angegangen werden müssten.

Die XXL-Nachbildung vom „Engel Aloisius“ in der historischen Schwemme des Münchener Hofbräuhauses, die auf die Wirtshausbesucher aus aller Welt herunterschaut, ist schon auch ein Symbol für diese mitunter weitverbreitete Ignoranz, die sich bald einmal rächen könnte. Auf die göttlichen Eingebungen zu setzen, wäre naiv. Die werden freilich weiter auf sich warten lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung