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Zur Freiheit gehört Sachverstand

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Der Regierung wird in den USA verschiedentlich vorgeworfen, daß sie dem Kurssturz untätig zugesehen habe, sie hätte zumindest die „margin-rate“ auf 50 Prozent herabsetzen sollen. Wer kann sagen, ob dies viel genützt hätte? Eine Lehre ist jedenfalls aus dem Börsengeschehen der jüngsten Tage zu ziehen. Wenn man breiten Bevölkerungsschichten neue Sparformen erschließen will, die doch erhebliche Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge voraussetzen, ist eine umfangreiche Bildungs- und Aufklärungsarbeit notwendig. Das gilt offenbar für alle westlichen Staaten, auch für Österreich. Aber das ist überhaupt eines der Zentralprobleme der grundsätzlich marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsordnungen des Westens. Wie viele Menschen haben denn eine blasse Vorstellung von der Funktionsweise einer Marktwirtschaft? Nur wenige. Wir leben in einer, das liegt in der Natur der Sache, überaus kompliziert konstruierten Wirtschaftsordnung, deren reibungsloses Funktionieren nicht zuletzt davon abhängt, daß möglichst viele Menschen zumindest in den Grundzügen diese Ordnung verstehen. Überall dort, wo Freiheit sein soll, muß auch Sachverstand und zwar weit mehr und ein breit gestreuter Sachverstand sein als dort, wo man mit weniger Freiheit auszukommen glaubt. Demokratische Staaten mit marktwirtschaftlicher Ordnung: ein komplizierter-es gesellschaftliches Gebilde ist der Menschheit bisher noch nicht eingefallen, und es wird kaum etwas getan, um eine notwendige Bedingung für das Funktionieren dieser Ordnung — die wirtschaftliche Bildung und Aufklärung der unwissenden Bürger — zu erfüllen. Die kleinen und mittleren Anleger sind nervös geworden und haben schnell verkauft — die Armen, sie kennen sich offensichtlich nicht genügend aus. Viele dieser unerfahrenen Anleger, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 30. Mai, warfen selbst hochqualifizierte Titel auf den Markt. Das stimmt sicher, die „Zürcher“ ist gut informiert, der Wirtschaftsteil glänzend redigiert. Und am 31. Mai schreibt dasselbe Blatt, daß die großen institutionellen Investoren der Markttendenz mehr und mehr das Gepräge gaben, und zieht daraus den Schluß, daß dies insofern eine höchst erfreuliche Entwicklung sei, als es den Anschein habe, als ob zahlreiche Valoren, besonders „Blue Chips“, aus schwachen Händen in starke Hände übergegangen seien. Das ist nicht erfreulich, das ist in höchstem Maße unerfreulich, das sind blutende Wunden in der marktwirtschaftlichen Ordnung.

Der Börsenkrach brachte eine der weichsten Stellen zutage: Das Unwis-sen. Der skurrile Dämonenglauben ist stark wie eh und je, der Aberglaube existiert, er hat sich's bloß in einem anderen Bereich des menschlichen Lebens bequem gemacht: in der Wirtschaft. Daher ist die Frage, ob ein Börsenkrach ernste Auswirkungen auf die Weiter Wirtschaftsentwicklung haben könne, durchaus mit Ja zu beantworten. Aber, so könnte das Gegenargument lauten, wenn Vollbeschäftigung herscht, wenn die Produktionskapazität weitgehend ausgelastet ist und die Umsätze zufriedenstellend sind, bestünde doch kein Grund, sich um die wirtschaftliche Zukunft zu sorgen! Sicher besteht in einem solchen Fall kein Grund zur Sorge, aber die Wirtschaft ist eine menschliche Veranstaltung. Viele könnten sich sagen, Börsenkrachs waren immer Vorboten wirtschaftlicher Katastrophen, sie trafen viele Menschen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Daher muß man die geplanten Dispositionen ändern. Wenn das viele tun, dann freilich ändert sich auch die wirtschaftliche Entwicklung, wenn weniger investiert wird, als ursprünglich vorgesehen war, wenn sich die Struktur der Verbrauchsausgaben entscheidend ändert, ebenso die Sparquote der Haushalte und dergleichen mehr.

Was kann man dagegen tun? Kurzfristig nur massiv beruhigen, daß nichts passieren könne, auch nichts passieren werde. Wenn das nichts nützt, dann massiv intervenieren. Langfristige wirtschaftliche Aufklärungsarbeit muß geleistet werden. Weg mit Vorurteilen, den gängigen, falschen vorgeprägten Formeln! Das braucht Zeit und hat nicht von heute auf morgen Erfolg. Soweit sich das bereits jetzt überblicken läßt, werden die Kursstürze vom 28. und 29. Mai wahrscheinlich keine besonderen Folgen haben. Aber sie waren vielleicht eine Mahnung für alle demokratischen Staaten, endlich nachzuholen, was versäumt wurde, und aus „unnötigen Imponderabilien“ einigermaßen beherrschende Größen zu machen.

Die New Yorker Stock Exchange hat ein stark verbreitetes Meldesystem über Börsenabschlüsse eingerichtet, über das die Öffentlichkeit während der Börsenzeit laufend unterrichtet wird. Jeder broker (Makler) meldet Geschäftsabschlüsse der „New York Quotation Company“, einer Tochtergeseilschaft der New York Stock Exchange (Börse), die für die Publizierung der Kurse verantwortlich ist. Die Quotation Company unterhält auch die Ticker-Organisation, eine Einrichtung, die über große Gebiete der Vereinigten Staaten und auch Kanadas verbreitet ist und insgesamt 2500 Anschlüsse hat.

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