Demokratie - © Illustration: iStock / Anastasiia Boriagina

Die Gesundheit als Epizentrum

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Infolge der Corona-Pandemie steht die Demokratie auf dem Prüfstand. Sozialstaatliche Teilhabe und Freiheitsrechte wurden auf Zeit begrenzt. Wie realistisch ist die Rückkehr zum Zustand davor?

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Infolge der Corona-Pandemie steht die Demokratie auf dem Prüfstand. Sozialstaatliche Teilhabe und Freiheitsrechte wurden auf Zeit begrenzt. Wie realistisch ist die Rückkehr zum Zustand davor?

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Der 16. März 2020 dürfte als historisches Datum in Österreichs Geschichtsbücher eingehen. Seit diesem Tag ist das öffentliche Leben auf ein Minimum beschränkt. Bis auf versorgungswichtige Läden sind Geschäfte und Restaurants geschlossen. Schulen, Universitäten und Kindergärten ebenso. Für die Bevölkerung gelten Ausgangsbeschränkungen. Der Betrieb an den Gerichten läuft auf Sparflamme. Gottesdienste sowie Versammlungen aller Religionsgemeinschaften sind ausgesetzt. Begräbnisse dürfen nur am Grab und im engsten Kreis stattfinden. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die im Eiltempo im „Paket zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus“ vereinbart worden sind.

Kurzer Rückblick auf das Jahr 1920: Vor fast genau einem Jahrhundert wurde von der konstituierenden Nationalversammlung das „Bundesverfassungsgesetz“ vereinbart. Dort heißt es in Artikel 1: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Seit diesem Zeitpunkt ist die Demokratie in Österreich allerdings mehr als einmal erschüttert worden – von der Auflösung des Parlaments 1933 bis hin zur Hitler-Diktatur. Daher musste die Republik Österreich nach 1945 ein zweites Mal errichtet werden – auf der Basis der demokratischen Prinzipien, auf die man sich bereits 1920 geeinigt hatte.

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Virologen geleiten staatliche Belange

Angesichts der Corona-Pandemie steht unsere Demokratie erneut auf dem Prüfstand. Grundrechte wie das „Recht auf Bewegungsfreiheit“, das „Recht auf Versammlung“ oder das „Recht auf Bildung“ wurden aufgeweicht. Sozialstaatliche Teilhabe – Arbeit, Kinderbetreuung, Pflege – könnentens der Bürger nur noch eingeschränkt wahrgenommen werden. Ist diese Entwicklung mit der Demokratie vereinbar? „Ja“, sagt Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. „Sie sind temporär und wurden auf Basis von Gesetzen getroffen. Zudem wird die Regierung vom Parlament und dessen Gesetzgebung vom Verfassungsgerichtshof kontrolliert.“

Staatliche Institutionen üben gewissermaßen den Ausnahmezustand ein.

Birgit Sauer

Dass das autoritäre Durchgreifen des Staates dennoch problematisch ist, darauf weist Politologin und Vize-Dekanin Birgit Sauer hin. „Staatliche Institutionen üben gewissermaßen den Ausnahmezustand ein.“ Sauer spricht in diesem Zusammenhang von „Gesundheitsdiktatur“. Es sei eine Tendenz erkennbar, die Soziologen bereits vor geraumer Zeit beschrieben hätten: Ulrich Beck bezeichnete das Phänomen als „Entkernung staatlicher Institutionen“, der Brite Colin Crouch sprach von „Post-Demokratie“.

Gemeint ist, dass staatliche Entscheidungen (informell) außerhalb des Parlaments gefällt werden. Im Falle von Corona sind das Biologen, Virologen, Statistiker oder Seuchenschützer. „Dieser Rückgriff auf Expertinnen und Experten bedeutet eine Entmachtung oder Ent-Mächtigung der Bürgerinnen und Bürger“, sagt Sauer. Freilich gibt es zu Sauers Position auch Gegenstimmen, wie jene von Klement Tockner. Dennoch: „Die Krise verschärft den Zwiespalt zwischen dem, was gesundheits-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch notwendig ist – und dem, was verfassungsrechtlich zulässig ist“ , betont auch Staatswissenschaftler Ennser-Jedenastik.

Bereits 1977 hat der französische Philosoph Michel Foucault die Gesundheit als „Epizentrum des modernen Regierens“ bezeichnet. Diese „Biomacht“ – legitimiert durch die Medizin – würde laut Foucault dem Staat ermöglichen, die Bevölkerung zu verwalten, zu beobachten, zu kontrollieren. Eine Gefahr, die Ennser-Jedenastik derzeit für Österreich aber nicht sieht. „Die Zivilgesellschaft ist recht robust, das Parlament oder der VfGH funktionieren einigermaßen gut.“ Verbesserungspotential gäbe es dennoch.

Wie gefestigt eine liberale Demokratie ist, zeigt sich gerade an ihrem Umgang mit Krisen. Und daran, ob sie den Krisenmodus wieder vollständig zurückschalten kann.

Oliver Marchart

So schränke die Krisensituation den politischen Wettbewerb ein. „Für die Opposition ist es jetzt eine Gratwanderung, wie sehr man die Regierung kritisieren kann.“ Zudem macht Ennser-Jedenastik darauf aufmerksam, dass es fraglich ist, ob gewisse Corona-Notverordnungen überhaupt eine gesetzliche Grundlage haben. Stichwort „Betretungsverbot für öffentliche Plätze“. Ennser-Jedenastik: „Da bedarf es noch der einen oder anderen Klärung des Verfassungsgerichtshofes.“

Vorerkrankte Demokratie?

Wie immun ist nun also Österreichs Demokratie? „Ihre Widerstandskraft hängt davon ab, ob Vorerkrankungen bestehen“, sagt Oliver Marchart, Universitätsprofessor für Politische Theorie in Wien. „Wie gefestigt eine liberale Demokratie ist, zeigt sich gerade an ihrem Umgang mit Krisen. Und daran, ob sie den Krisenmodus wieder vollständig zurückschalten kann.“ Nach Marcharts Ansicht wäre der Notstand immer auch ein Testgelände, auf dem erprobt würde, was für die Bevölkerung gerade noch zumutbar ist. „Deswegen bestehen zu Recht Bedenken, dass vorübergehende Einschränkungen – etwa die des persönlichen Datenschutzes – in der einen oder anderen Form weitergeführt werden könnten.“

Davon geht auch seine Institutskollegin Birgit Sauer aus: „Es ist zu befürchten, dass nach der Krise der sozialstaatliche Abbau unter dem Zeichen des Sparens weiter betrieben wird.“ Gefragt wäre jetzt die Zivilgesellschaft. Diese müsse immer wieder reflektieren, dass die Machtkonzentration bei der Regierung, so wie es jetzt der Fall ist, gefährlich ist. „Es ist viel von Solidarität die Rede. Die muss auch das gemeinsame Beobachten der demokratischen Situation umfassen.“

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