Die Österreicher/innen und die Religion

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Aus dem Österreich-Teil der Europäischen Wertestudie 1990-2000

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Aus dem Österreich-Teil der Europäischen Wertestudie 1990-2000

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Thema. 1.400 Personen wurden in Österreich im Rahmen der 3. Europäischen Wertestudie befragt. Das Projekt - unter Leitung des Pastoraltheologen Paul M. Zulehner - erfasst europaweit die Lebenskonzepte und Werthaltungen der Menschen. furche 24 bewertete die Trends der Studie ("Im Mittelunkt das Ich"); nebenstehend werden die Ergebnisse in Bezug auf die Religion dokumentiert.

Zwei gegenläufige Tendenzen dominierten in den letzten Jahren die Debatte über die Lage von Religion und Kirche im Europa der Jahrtausendwende: Sozial- und Trendforscher diagnostizierten immer wieder einen "Megatrend Religion", gerade in der westlichen, oft als "säkularisiert" und "materialistisch" etikettierten Welt. Gleichzeitig sei ein markanter Bedeutungsverlust des Christentums zu orten, wobei die Lage der christlichen Kirchen besonders kritisch sei. Mit den Ergebnissen der Europäischen Wertestudie können die genannten Diagnosen differenziert werden.

1. Der Stellenwert der Religion ist in Österreich gestiegen (Abbildung 1) Religion erlebt in Österreich keinen "Boom", hat aber gegenüber 1990 einen deutlich höheren Stellenwert. Die subjektive Religiosität der Österreicher/innen ist in den vergangenen 10 Jahren in allen Altersgruppen gewachsen, drei Viertel der Bevölkerung verstehen sich als "religiöse Menschen".

1999 glauben mehr Österreicher/innen (83%) an Gott als 1990 (77%), auch das Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod hat zugenommen (1990: 44%/ 1999:50%). Die Zuwächse ereignen sich vor allem bei den jüngeren Menschen. "Trost und Kraft aus dem Glauben" ziehen heute 58% der ÖsterreicherInnen, das sind signifikant mehr als vor 10 Jahren (47%). Zwei Drittel der ÖsterreicherInnen (67%) nehmen sich manchmal "Zeit für ein Gebet, zur Meditation, zu inneren Einkehr oder ähnlichem". Auch dieses Bedürfnis hat in den vergangenen 10 Jahren zugenommen (1990: 59%).

Das Gottesbild hat sich insgesamt im Vergleichszeitraum nur wenig verändert. Der christliche "persönliche Gott" kommt der Einstellung von 31% am nächsten (1990: 28%), 51% hingegen tendieren eher zu einem Gott der als "höheres Wesen" charakterisiert ist (1990: 48%). Das personale Gottesbild korreliert hoch mit der Intensität des Gottesdienstbesuchs.

2. Eine differenzierte Sicht der Kirchen (Abbildung 3) 38% der Bevölkerung haben "sehr" oder "ziemlich viel" Vertrauen in die christlichen Kirchen. Während die Nähe der evangelischen ChristInnen zu ihrer Kirche in den letzten 10 Jahren unverändert blieb, hat die katholische Kirche bei ihren Mitgliedern an Vertrauen eingebüßt (1990: 56% / 1999: 43%). Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Frage nach der (sozialen, geistigen, moralischen, familialen) Kompetenz der Kirchen: Die evangelische Kirche bleibt stabil, die katholische hat an Kompetenz verloren.

Die kirchenkritische Einstellung der Österreicher/innen ist auf die Institution (katholische) Kirche bezogen, was nach den verschiedenen Kirchenkonflikten der vergangenen Jahre nicht verwundert. Das praktisch-kirchliche Leben blieb davon nahezu unberührt: Der Besuch des Gottesdienstes hat sich laut Angaben der Befragten kaum geändert. Immerhin ein Drittel der Befragten (34%) gibt an, täglich oder mehrmals pro Woche zu beten. Die kirchlich-religiöse Praxis ist bei katholischen ChristInnen höher als bei evangelischen.

3. Eine sozioreligiöse Typologie (Abbildung 2) Fasst man die wichtigen Dimensionen Gottesbild und Kirchgangsfrequenz in einer Typologie zusammen, ergibt sich hinsichtlich der religösen Lage folgender Überblick: Die Anzahl der im engeren Sinn kirchlich orientierten Menschen blieb unverändert. Deutlich abgenommen haben "Unreligiöse", deutlich zugenommen "Kulturreligiöse": jene, die an Religion interessiert aber sowohl hinsichtlich ihrer religiösen Einstellung als auch hinsichtlich der Kirchenbindung nicht festgelegt sind - letztere bilden auch die größte Gruppe, wie schon 1990.

4. Typen religiöser Weltanschauung: Woran die Menschen glauben (Abb. 4) Konfrontiert man die Befragten mit Aussagen, die verschiedene religiöse Inhalte darstellen und messen, wird die Skizze der Religiosität in Österreich differenzierter und pluralistischer: Insgesamt stimmt mehr als ein Drittel der ÖsterreicherInnen explizit christlichen Aussagen zu, aber auch andere inhaltliche Positionen finden weite Verbreitung.

* Die Christen glauben an die Existenz Gottes durch Jesus Christus sowie an die Auferstehung.

* Als Theisten werden Personen bezeichnet, die zwar an einen personalen Gott glauben, ihn aber nicht mit der Person Jesus Christus in Verbindung bringen wollen.

* Reinkarnationsgläubige vertrauen auf die Wiedergeburt der Seele in einem anderen Leben.

* Naturalisten sehen sowohl die Existenzdeutung als auch ihr Gottesbild von Naturgesetzen bestimmt.

* Skeptiker stehen sowohl außerweltlichen Gottesgedanken als auch der Sinnhaftigkeit des Lebens negativ gegenüber.

* Autonome verneinen ein personales Gottesbild und optieren für eine selbstbestimmte Sinngebung.

Die Kombination von sozioreligiöser Typologie mit den sechs Weltanschauungstypen leistet einen Beitrag zur Frage, welche Typen von welchen religiösen Inhalten geprägt sind. Das Ergebnis zeigt: Es werden jeweils mehrere Weltanschauungen vertreten. Bei den Extremgruppen der Kirchlichen (starke christliche und theistische Orientierung) und der Unreligiösen (stark autonome und skeptische Orientierung) dominieren jeweils zwei Weltanschauungen stark. Bei den übrigen drei Gruppen existieren drei oder mehrere Weltanschauungen mit ähnlicher Intensität. Bei Kulturkirchlichen und Religiösen dominiert der Glaube an eine höhere Kraft und Naturgesetze. Kulturreligiöse sind dagegen eher an der Seite eines atheistischen Naturalismus zu finden.

Diese Ergebnisse bestätigen die These, das eine stabile kirchlich-christliche Religiosität durch eine Tendenz, sich individuell seine Religiosität aus einer Fülle von weltanschaulichen Elementen zusammenzusetzen, abgelöst wird. Interessant ist, das nicht die Jungen, sondern die Älteren eher an einem weltanschaulichen Mix interessiert sind. Damit kann die These aufgestellt werden, das mit zunehmender Lebenserfahrung religiöse Bedürfnisse nicht mehr ausschließlich von einer Religion abgedeckt werden können bzw. die Erfahrungen einer einzelnen weltanschaulichen Position nicht mehr "ausreichen".

Die Autoren dieser Dokumentation sind Mitarbeiter des Instituts für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Die anderen Zusammenfassungen des Österreich-Teils der Europäischen Wertestudie 1990-2000 (Paul M. Zulehner: Lieben und Arbeiten - Wandel bei den zentralen Lebensvollzügen; Hermann Denz: Staat und Zivilgesellschaft - Widersprüche, Verwerfungen, Bruchlinien sowie die grundlegenden Trends, die sich aus der Studie ergeben) können als Download von der Homepage des Instituts für Pastoraltheologie bezogen werden: www.univie.ac.at/pastoraltheologie

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