Woelki - © Foto: APA/AFP/Ina Fassbender

Katholische Kirche in Deutschland: Ruinöse Verhältnisse

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In Köln findet eine Razzia im erzbischöflichen Palais statt. Gleichzeitig wird bekannt, dass allein im Jahr 2022 mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland die katholische Kirche verlassen haben. Die Institution findet sich in Auflösung wieder. Ein Gastkommentar.

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In Köln findet eine Razzia im erzbischöflichen Palais statt. Gleichzeitig wird bekannt, dass allein im Jahr 2022 mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland die katholische Kirche verlassen haben. Die Institution findet sich in Auflösung wieder. Ein Gastkommentar.

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Das schien auch im karnevalsverrückten Köln unvorstellbar. Am frühen Morgen des 27. Juni 2023 verschafften sich circa 30 Polizeibeamte Zugang zu verschiedenen Gebäuden des Erzbistums. Eine regelrechte Razzia fand statt, veranlasst von der Staatsanwaltschaft, die dem Verdacht einer eidesstattlichen Falschaussage des Kölner Erzbischofs nachging. Razzien kennt man in Nordrhein-Westfalen von Schlägen gegen die Mafia. Nun hat es die katholische Kirche erwischt. Hintergrund war ein Verfahren, in dem es um die Rolle von Kardinal Rainer Maria Woelki bei der Beförderung eines Düsseldorfer Missbrauchspriesters ging. Der Kölner Erzbischof hatte jede Kenntnis von der Vergangenheit des Klerikers abgestritten und zur Absicherung auf Gott geschworen. Nachdem neue Dokumente aufgetaucht waren, kamen indes Zweifel an Woelkis Aussagen auf. Inzwischen ist eine formelle Klage gegen den Kardinal anhängig.

Die verfolgte die Kölner Staatsanwaltschaft mit einer für episkopale Gewohnheiten geradezu schockierenden Durchschlagskraft. Man wollte Bischofsakten sichern, was bereits Verdunklungsgefahr voraussetzt. Ein hochrangiger Kirchenmann, der wie ein Krimineller behandelt wird? Hat die deutsche Justiz eine Grenze überschritten, als sie Kardinal Woelki dazu veranlasste, selbst seine Haustüre zu öffnen – passenderweise in legerem Zivil? Der Verdacht, Woelki habe einen Meineid geleistet, wird damit nicht nur publizistisch bildfest, sondern es wird fortan schwer sein, ihm öffentlich zu entkommen. Eine praktische Vorverurteilung? Die Kölner Beamten wiesen umgehend auf die geltende Unschuldsvermutung hin. Zu Recht. Gerade deshalb erweist sich ihr Vorgehen aber als konsequent. Nicht nur weil es Woelki entlasten kann, sondern weil vor Augen geführt wird, dass die Justiz ihren Auftrag ohne Ansehen von Person und Kirchenehrenrang wahrnimmt.

Neues Spektakel des Unfassbaren

Umso deutlicher zeichnet sich die kirchliche Schattenseite dieses Spektakels ab. Die vor nicht allzu langer Zeit schier undenkbare Vorstellung, ein Kardinal der katholischen Kirche könne ein Krimineller sein, hat sich im Zuge des Missbrauchskomplexes längst so der Wirklichkeit angenähert, dass einen kaum noch etwas erschrecken kann. Im Gegenteil. Die katholische Kirche bietet immer neue Spektakel des Unfassbaren im Umgang mit der Wahrheit, die im Missbrauchskomplex das Urteil über sie spricht. Präziser: über ihre verantwortlich handelnden Akteure, Bischöfe genannt, ausgestattet mit sakramentaler Vollmacht, beauftragt zum Heiligungsdienst an den Menschen. Auf dem Synodalen Weg hat eine entschlossene Mehrheit unter ihnen für systemische Konsequenzen aus dem Skandal gekämpft. Als auf der letzten Zusammenkunft des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz Gelder für die Verstetigung dieses Prozesses freigegeben werden sollten, verweigerte sich ausgerechnet Kardinal Woelki der Finanzierung des Synodalen Ausschusses. Dort sollten Laien und Bischöfe gemeinsam kirchliche Agenden beraten und entscheiden. Aber nicht mit Woelki, der auf der Alleinentscheidungsmacht von Bischöfen besteht. Schließlich sind sie die Nachfolger der Apostel mit eingebauter Amtsgnade.

Um die steht es in Köln prekärer denn je. Man mag sich kaum ausmalen, dass Kardinal Woelki tatsächlich wegen Meineids verurteilt würde und in den Klingelpütz, das stadtbekannte Kölner Gefängnis, einrücken müsste. Bislang hat der Erzbischof in anhängigen Verfahren – u. a. gegen Unterstellungen der Bild-Zeitung – freilich erfolgreich abgeschnitten. Der Kniff: Schriftstücke, die seinen Namen trugen, will er nicht gelesen haben. Das soll auch in einem Fall gelten, der seine Situation gerade besonders belastet. Der Westdeutsche Rundfunk berichtet von einem Brief, den der Kardinal in einem anderen Fall an die römische Glaubenskongregation adressiert hat – mit Klärungsbitte. Sein ehemaliger Offizial gibt an, Woelki habe zumindest diese Post gekannt. Alles ein Missverständnis, ein Flüchtigkeitsfehler des überarbeiteten Bischofs?

Es mag sein, dass Woelki mit der Nummer ein weiteres Mal juristisch durchkommt. Das hängt nicht zuletzt davon ab, was die Justizbehörden finden. Aber moralisch reicht das nicht. Die Autorität des Kardinals ist ruiniert. Bis in die Landespolitik hinein ist klar: Alles Vertrauen ist verspielt. Die Öffentlichkeit kann nicht glauben, dass Woelki seine römische Post unterschreibt, ohne zu wissen, was er in so einem Fall auf den Weg bringt. Und wenn er das tut, kommt er weder seiner Verantwortung gegenüber den von Missbrauch betroffenen Menschen nach, die er gerne hervorhebt, noch kann er jene bischöfliche Entscheidungskompetenz beanspruchen, die er zuletzt noch betont hat, als es darum ging, die Finanzmittel für den Synodalen Ausschuss zu verweigern.

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