Die Schein-Einheit bleibt gewahrt

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Schwangerschaftskonfliktberatung: Deutsche Bischöfe geben Schwarzen Peter an den Staat, die Frauen und die Ärzte ab.

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Schwangerschaftskonfliktberatung: Deutsche Bischöfe geben Schwarzen Peter an den Staat, die Frauen und die Ärzte ab.

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Vergnügt hält Bischof Karl Lehmann ein knorriges Holzstück hoch. Als der Blitz in die Pappel gleich hinter der Mauer des Klosters Himmelpforten in Würzburg einschlug, ist das Holz direkt vor das Fenster gefallen - genau in dem Moment, als der Rechtsaußen der Deutschen Bischofskonferenz, Fuldas Erzbischof Johannes Dyba, sprach. Bischofsvorsitzender Lehmann wirkt wie von einer Zentnerlast befreit: Die 27 deutschen Diözesanbischöfe haben sich bei ihren Beratungen in Würzburg geeinigt - ganz nach dem Willen des Papstes.

Wenige Tage zuvor war die Nachricht von einem Brief Johannes Pauls II. an die deutschen Bischöfe wie eine Bombe eingeschlagen. Gerüchte, der Papst habe den Bischöfen darin den Ausstieg aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung diktiert, machten die Runde. Die Wirkung in der deutschen Öffentlichkeit war verheerend. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die größte Laienvertretung im Land, zeigte sich "betroffen und tief enttäuscht" und warf dem Papst "unerträgliche Dialogverweigerung" vor. Zahlreiche Politiker, darunter auch Vertreter der CDU/ CSU, sprachen von einer Katastrophe, Beobachter konstatierten die schwerste Krise der katholischen Kirche im Nachkriegsdeutschland. Manche Insider rechneten bereits damit, daß Bischöfe wie Hermann Josef Spital (Trier) und Franz Kamphaus (Limburg) offen Widerstand leisten oder ihren Rücktritt erklären würden.

Allmählich sickerte der Wortlaut des Papst-Briefes durch. Und siehe da: Mit keiner Silbe forderte Johannes Paul II. die Bischöfe zum Ausstieg aus der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung auf; weit und breit keine Rede davon, daß in katholischen Beratungsstellen keine Scheine mehr ausgestellt werden dürften. Statt dessen bejaht Johannes Paul II. in seinem Schreiben "grundsätzlich und weitgehend" (so Lehmann) den von den Bischöfen im Februar beschlossenen "Beratungs- und Hilfeplan", in dem schwangere Frauen verbindliche Hilfszusagen erhalten, die sie zum Austragen des Kindes ermutigen sollen (vgl. Furche 9/1999). "Damit die rechtliche und moralische Qualität dieses Dokumentes unzweideutig wird", "ersuchte" der Papst aber die Hirten, nur das Ziel der Beratung und Hilfe zu erwähnen und am Ende den Satz hinzuzufügen: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden."

Bischöfe einstimmig Genau das tun die Bischöfe dann auch. Vorsitzender Lehmann machte aber deutlich, daß die Bischöfe in der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung "bleiben wollen und bleiben können". Der Zusatz bedeute nicht, daß man das Gesetz unterlaufen, aushebeln oder außer Kraft setzen wolle. Gerade inmitten einer weltanschaulichen Pluralität müsse die Kirche ihre Grundüberzeugungen in Wort und Tat mit einem klaren Profil bezeugen. Andererseits droht Lehmann, die Bischöfe würden bei einer ihrer Meinung nach nicht gesetzeskonformen Benachteiligung der katholischen Beratungsstellen "im äußersten Fall" den Rechtsweg beschreiten.

Bis an den Rand der Selbstverleugnung hatte Lehmann in den vergangenen Jahren vermittelt - innerhalb der Bischofskonferenz, zwischen den Bischöfen und den Laien, zwischen den Bischöfen und Rom. Er hat die Flügel zusammengehalten. Damit erreichte er sogar die vom Papst geforderte Einstimmigkeit der Bischofskonferenz - bei einer Enthaltung.

Römische Verletzung Doch ungewohnt deutlich läßt er auch durchblicken, welche Verletzungen Rom bei ihm hinterlassen hat: Am 20. Mai erhielt er die seit Monaten erbetene Audienz beim Papst; doch der hatte nur eine Viertelstunde Zeit und sprach das Thema Schwangerschaftskonfliktberatung nur am Rande an; Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano aber war terminlich verhindert. Er finde es "enttäuschend", so Lehmann, daß das von ihm und auch der Bischofskonferenz erbetene Sachgespräch nicht zustande kam. Allerdings wird auch klar, daß weder er noch seine Mitbrüder sich von ihrem Amtsverständnis her jemals zu einer Revolte oder einer "illoyalen Konfliktstrategie" gegen den Papst hätten entschließen können: "Man kann nicht Bischof sein ohne Loyalität zum Papst.

Die Bischöfe haben den kleinstmöglichen Spielraum genutzt; ihnen scheint die Quadratur des Kreises gelungen zu sein. Doch der Preis für die Einheit untereinander und mit dem Papst ist hoch: Denn den moralischen Schwarzen Peter haben sie an den Staat - sprich: Bund und Länder -, die Frauen und die Ärzte weitergegeben. Dementsprechend vernichtend fallen die Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit aus; von links wie rechts hagelt es Kritik. "Spitzfindig", "scheinheilig", "Heuchelei", "List", "Taschenspielereien", "Doppelmoral" tönte es aus dem Blätterwald. Manche sprechen von einer "Zigarettenschachtel-Lösung": Auch dort stehe der Satz "Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit", und niemand beachte ihn. Ja, es kommt sogar der schlimme Vorwurf die deutschen Bischöfe wüschen wie einst Pontius Pilatus ihre Hände in Unschuld.

Sogar der Bischof Franz Kamphaus von Limburg, der immer für einen Verbleib in der staatlichen Beratung eingetreten war, gesteht ein, der Beschluß komme einer "Gratwanderung zwischen Kompromiß und Kompromittierung" gleich. Als Fazit aus dem Streit mit dem Papst verlangt Kamphaus eine wesentlich bessere Kommunikation mit dem Vatikan. Es gebe dort sicher entscheidende Leute, die das deutsche Beratungssystem nicht verstanden hätten.

Und die Politik? Bei einer kontrovers geführten Debatte im Deutschen Bundestag, waren die Abgeordneten uneins, ob der geplante Zusatz den Beratungsschein rechtlich entwertet. Die Folge wäre, daß eine Abtreibung dann für die Schwangere und den Arzt strafbar ist. Zudem wurden massive Bedenken erhoben, ob das Beratungsgespräch mit dieser schriftlich formulierten Einschränkung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen noch "ergebnisoffen" sein kann. Außer Zweifel steht, daß eine Bescheinigung, wie sie jetzt in katholischen Beratungsstellen ausgestellt werden soll, formal den Vorschriften genügt, wenn sie den Namen der beratenen Frau, den Hinweis auf die gesetzliche Grundlage der Beratung sowie Ort und Zeit der Beratung dokumentiert.

Nach Einschätzung zweier Generalstaatsanwälte, Norbert Weise und Ursula Reichling, ändert der Zusatz nichts an der rechtlichen Bedeutung der Bescheinigungen. "Der Zusatz ist strafrechtlich ohne Bedeutung." Ähnlich äußerten sich Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU). Quer durch alle Fraktionen wurde kritisiert, daß durch den Zusatz der moralische Druck auf die Frauen erhöht werde. Einzig die Fraktion von CDU/CSU zeigte Verständnis und verwies darauf, daß die deutsche katholische Kirche nach dem Papst-Brief in einer schwierigen Lage gewesen sei. Redner der Union appellierten an die anderen Parteien, die Pluralität der Beratung nicht zu gefährden. Von Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es Signale, den neuen Schein anzuerkennen; unklar ist dagegen, wie die norddeutschen Bundesländer reagieren werden.

Ärzte verunsichert Große Verunsicherung besteht auch bei der Ärzteschaft. Die baden-württembergische Landesärztekammer warnte davor, die neuen Scheine zu akzeptieren, falls bis dahin die Rechtslage nicht geklärt sei. Vor dem Gesetz ändere der bischöfliche Vermerk für deutsche Ärzte wohl nichts, meinte dagegen der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte in Deutschland, Armin Malter. Skeptisch bleibt jedoch der Ärzteverband Hartmannbund: Nach Ansicht seines Geschäftsführers Bernd Hügle entkräftet der Hinweis den Beratungsschein zu sehr. Abbrüche könnten so als "illegale Abtreibung" gelten. Kaum ein Frauenarzt werde das neue strafrechtliche Risiko auf sich nehmen, meint auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Günter Kindermann. Voraussetzung sei und bleibe ein Beratungsschein "ohne Wenn und Aber".

Was aber bedeutet der jüngste Beschluß für die Kirche in Deutschland? Zunächst einmal ist die Zerreißprobe vermieden, scheinen Liberale und Konserative im Episkopat wie unter den Laien zumindest nach außen hin geeint. Aus Rom sind erst einmal keine weiteren Einwände zu erwarten, seit Sodano und der Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, in einem Brief an Lehmann Zustimmung zu einem Verbleib im staatlichen Beratungssystem signalisierten. Für die Laienorganisationen aber, die wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der Sozialdienst katholischer Frauen oder die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" bereits ihre Entschlossenheit bekundet hatten, die entstehende Lücke schließen zu wollen und die katholischen Beratungsstellen in eigener Trägerschaft zu übernehmen, ist kein neues Betätigungsfeld in Sicht.

Tritt Lehmann ab?

Und wie steht es um den Vorsitz der Bischofskonferenz? Viele, die schon vermutet hatten, Lehmann werde im Herbst nicht mehr kandidieren, sehen sich jetzt eines Besseren belehrt. Keiner seiner Mitbrüder wagte ihn in Würzburg zu demontieren - auch Erzbischof Dyba und Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, Papstfreund und möglicher Gegenkandidat, nicht. Daß es am Ende zu einer aus Lehmanns Sicht zufriedenstellenden Lösung kam, ist vor allem seiner eigenen Beharrlichkeit und Geradlinigkeit zu verdanken. In 90 Tagen wählt die Vollversammlung der Bischöfe einen neuen Vorsitzenden. Dann könnte der alte Vorsitzende, dessen Perspektive nach eigenem Bekunden "über den Tellerrand dieser Wahlperiode" hinausreicht, auch wieder der neue sein. Lehmann wörtlich: "Bis zum 22. September werde ich meinen Auftrag erfüllen, dann sehen wir weiter."

Zur Sache Den gesetzlichen Rahmen für die staatliche Konfliktberatung in Deutschland hatten CDU/CSU, SPD und FDP 1995 in einem Schwangerschaftskonfliktgesetz beschlossen. Danach ist eine Abtreibung rechtswidrig, aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar, wenn die Frau sich innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen drei Tage vor dem möglichen Eingriff beraten läßt. Die Beratung soll dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, ist aber zugleich "ergebnisoffen" zu führen - eine Formulierung, die immer wieder Anlaß für unterschiedliche Interpretationen und Diskussionen war. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen wollen, müssen dazu einen Beratungsschein vorlegen. Dieser Schein ist die Voraussetzung dafür, eine Abtreibung in den ersten drei Monaten straffrei vornehmen lassen zu können. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums gibt es in Deutschland 1700 Beratungsstellen für Schwangere, davon 270 in Trägerschaft der katholischen Kirche, die entweder vom Caritasverband oder vom Sozialdienst katholischer Frauen getragen werden.

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