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Kein „Los von Rom”

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Bischof Jacques Gaillot sei zu weit gegangen, meint Karl Lehmann, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

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Bischof Jacques Gaillot sei zu weit gegangen, meint Karl Lehmann, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

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DieFurche: In Ihrem Hirtenbrief haben Sie sich dafür ausgesprochen, daß wiederverheiratete Geschiedene nicht in jedem Fall vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen sein sollen. Der Vatikan verwies auf die Einhaltung der Doktrin. Hat sich dadurch an Ihrer Einstellung etwas geändert?

Bischof Karl Lehmann: Ich mußte erkennen, daß wir unsere Vorschläge in der vorgelegten Form nicht verbindlich anordnen können. Wir müssen dies um der Einheit der Kirche willen annehmen, auf die die Bischöfe besonders verpflichtet sind. Im übrigen ging es uns beileibe nicht nur oder zuerst um den Kommunionempfang, sondern um die Zugehörigkeit und das Heimatrecht der geschiedenen Wiederverheirateten in der Gemeinde. Da bleibt noch viel zu tun. Dann wird man die Frage des Zugangs zu den Sakramenten auch gemeinsam nochmals angehen müssen - übrigens ist der häufige Kommunionempfang fast aller Gottesdienstbesucher ohnehin ein pasto-rales Problem.

DieFurche: An diesem Streit ist wieder deutlich geworden, daß in der katholischen Kirche zwei Positionen bestehen. Hier die Konservativen, da die Liberalen. Sehen Sie die Gefahr, daß sich diese Schere weiter öffnet, womöglich zu einer Kirchenspaltung? lehmann: Ich konnte noch nie viel anfangen mit dem Schema Liberale/Progressive - Konservative. Es gibt ja zunächst etwas entscheidend Gemeinsames: den Einsatz für die lebenslange Treue in der Ehe. Wir haben keinen Zweifel gelassen, daß dies unzweideutig das Wichtigste ist. Erst auf diesem Fundament kann man die Frage überzeugend angehen, wie man Zweitehen nach Scheidung näher beurteilen muß, und zwar im Blick auf den einzelnen Fall. Es ist eigentlich selbstverständlich, daß die wichtigere Aufgabe heute im Eintreten für die dauernde Treue in der Ehe ist. Insofern sehe ich keine Gefahr der Kirchenspaltung. Offensichtlich gibt es in der Kirche über vieles Grundsätzliche eine Verwirrung. Da sehe ich eher die Gefahr.

DieFurche: Läuft die Kirche nicht Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie sich nicht für Neuerungen aufgeschlossen zeigt und sich mehr und mehr auf Dogmen beruft? lehmann: Was sind Neuerungen? Das Neueste für die Welt ist immer noch die christliche Botschaft selbst, viel aufregender als jede Mode. Daran darf sich in der Tat nichts ändern. Diese Botschaft muß immer wieder in den veränderten Strukturen unserer Welt neu ausgerichtet werden. Aber wir dürfen uns ihnen nicht anpassen. Sonst wäre „das Salz der Erde” schal. Natürlich gibt es manchmal in der Kirche Kontroversen darüber, was denn für alle Zeiten unaufgebbares Evangelium ist und was um des Menschen und der Botschaft willen geändert werden kann. Dies allein rettet die Glaubwürdigkeit der Kirche.

DieFurche: Glauben Sie, daß eine Amtsenthebung wie die des liberalen französischen Bischofs Jacques Gaillot durch den Vatikan die „Los-von-Rom”-Bewegung stärkt? lehmann: Es gibt da und dort einmal Arger mit Rom, aber gewiß keine „Los-von-Rom”-Bewegung. Es wäre auch töricht, wenn jemand das kostbare Geschenk der Einheit der Weltkirche heute auf das Spiel setzen würde. Ich habe gewiß Verständnis für mutige, freilich kluge „Vorstöße” und für eine ehrliche Diskussion der „heißen Eisen”, aber Bischof Gaillot ist zum Beispiel in seinen Äußerungen zur Abtreibungspille RU 486 und zum kirchlichen Segen für homosexuelle Paare weit über den Rahmen der katholischen Lehre hinausgeschossen und hat sich im Grunde selbst außerhalb der Kollegialität der Rischöfe gestellt. Die französischen Bischöfe sind lange sehr brüderlich und kollegial, schließlich auch bei allem Ernst bittend und mahnend mit ihm umgegangen. Ich hätte mir die Lösung der Sache auch anders gewünscht, aber es gibt nun einmal Konflikte, die trotz mancher Versuche in der Sackgasse enden. Die Sache dauert nun bald zehn Jahre.

DieFurche: Ein weiterer Streitpunkt ist das Thema Frauenordination Viele Laienvertreter haben auf dem Dresdner Katholikentag gefordert, daß darüber weiter diskutiert werden müsse. Teilen Sie diese Ansicht3 lehmann: Der Papst hat in der Erklärung vom Mai 1994 unter sehr hohem Einsatz seiner Lehrautorität gesprochen. Niemand kann dies übersehen. Wer katholisch sein will, kann nicht so tun, als ob der Papst nichts entschieden hätte und als ob seine eigene Meinung höheren Respekt verdiente. Der Papst spricht verbindlich für die Kirche. Da führt kein Weg daran vorbei. Etwas anderes ist, daß man in der ernsthaften theologischen und historischen Arbeit die Problematik noch gründlicher anpacken und erforschen sollte. Dies kann aber nicht die Verbindlichkeit der ergangenen Entscheidung aufheben.

DieFurche: Die Studie „Lehrverurteilungen — kirchentrennend?” des Ökumenischen Arbeitskreises ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Einheit der Kirchen ein „deutsames Stück” näher gekommen sei Wie schätzen Sie den Stand der Entwicklung ein?

LEHMANN: Ich habe selbst das Projekt „Lehrverteilungen - kirchentrennend?” von katholischer Seite über fast ein Jahrzehnt geleitet. Im Augenblick nehmen die einzelnen Kirchen und Zusammenschlüsse auf evangelischer Seite Stellung. Das Ergebnis ist — wie könnte es anders sein — recht differenziert, so daß man auch das Resultat nicht auf einen einfachen Nenner bringen kann. Vieles (nicht alles!) von den Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts trifft den heutigen Partner nicht mehr. Man kann damit viele Stolpersteine auf dem Weg zur Einheit der Kirchen wegnehmen und den Weg freimachen zur Bewältigung der letzten großen Differenzen.

DieFurche: Um gegen die Abschaffung eines kirchlichen Feiertags als Kompensation zur Pflegeversicherung zu protestieren, will die Evangelische Kirche in Schleswig-Holstein ein Volksbegehren einleiten. Plant die Katholische Kirche ähnliche Aktionen oder gibt es gemeinsame Proteste? lehmann: Nein, wir planen so etwas nicht. Viele evangelische Landeskirchen und vor allem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben sich auch eindeutig davon distanziert. Wir waren konsequent gegen jede Streichung eines Feiertages im Zusammenhang der Pflegeversicherung und haben nie einen Tag dafür genannt. Ich wäre am Anfang froh gewesen, wenn wir mehr Unter-stützng gehabt hätten. Wir haben auf der Ebene der Länder und des Bundes schon viele Gespräche gemeinsam-ökumenisch mit den Ministerpräsidenten geführt und Briefe geschrieben. Übrigens haben wir auch nie einen evangelischen Feiertag zum Streichen genannt. In solchen Fragen darf man heute nur gemeinsam handeln.

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