Schein-Lösung läßt auf sich warten

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Die Deutsche Bischofskonferenz vermeidet beim Streit um den Beratungsschein für Konfliktschwangerschaften"österreichische Verhältnisse".

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Die Deutsche Bischofskonferenz vermeidet beim Streit um den Beratungsschein für Konfliktschwangerschaften"österreichische Verhältnisse".

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Längst sind sie in Deutschland zum geflügelten Wort geworden: die "österreichischen Verhältnisse". Zumindest was den kirchlichen Bereich angeht, gelten sie als abschreckendes Beispiel schlechthin. So ist es auch kein Wunder, daß sie anläßlich der jüngsten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Lingen/Emsland beschworen wurden, die Beobachter als eine der wichtigsten nach dem Krieg bezeichneten. Wenn alle Bischöfe sich in einem Punkt einig seien, so DBK-Sekretär Hans Langendörfer im Vorfeld der Konferenz, dann darin, daß man in Deutschland auf keinen Fall "österreichische Verhältnisse" wolle. Und tatsächlich: Ein offener Bruch, eine unmittelbare Konfrontation wurden in Lingen vermieden. Zu einer eindeutigen Stellungnahme in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung aber konnte man sich letztlich auch nicht durchringen.

Zur Vorgeschichte: Den gesetzlichen Rahmen für die staatliche Konfliktberatung hatten CDU/CSU, SPD und FDP 1995 in einem Schwangerschaftskonfliktgesetz beschlossen. Danach ist eine Abtreibung rechtswidrig, aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar, wenn die Frau sich innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen drei Tage vor dem möglichen Eingriff beraten läßt. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen wollen, müssen dazu einen Beratungsschein vorlegen. Dieser Schein ist die Voraussetzung dafür, eine Abtreibung in den ersten drei Monaten straffrei vornehmen lassen zu können.

Papst fordert Ausstieg Vor einem Jahr nun forderte Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe auf, in den katholischen Beratungsstellen keine solchen Scheine mehr ausstellen zu lassen, weil die Kirche durch sie in Unrecht verwickelt und die Klarheit und Eindeutigkeit ihres Zeugnisses für den Lebensschutz des ungeborenen Kindes dadurch verdunkelt werde. Andererseits sollten alle Chancen genutzt werden, auf wirksame Weise in der Konfliktberatung präsent zu bleiben. Daraufhin bildeten die deutschen Bischöfe eine Arbeitsgruppe aus neun Mitgliedern sowie einigen Experten, die einen rund 40 Seiten starken Bericht erarbeitete.

Der umfangreiche Bericht der Expertenkommission, der in Lingen Gegenstand der Diskussionen war und am 25. Februar veröffentlicht wurde, enthält vier Szenarien: * Die Kirche verzichtet auf den Beratungsnachweis und steigt aus der staatlichen Beratung aus.

* Die Kirche bietet nur noch eine allgemeine Familien- und Sexualberatung an, was ebenfalls einem Ausstieg aus der bisherigen Beratungsform gleichkäme.

* Der Beratungsschein wird durch einen umfassenden "Beratungs- und Hilfeplan" ersetzt, der das Engagement der Kirche für das Leben herausstellt.

* Ein Schein wird nicht mehr ausgestellt. Statt dessen holt der abtreibende Arzt bei der betreffenden Beratungsstelle mündlich Erkundigungen ein, ob beraten worden ist.

Als der DBK-Vorsitzende Bischof Karl Lehmann am Ende der Vollversammlung vor die Presse tritt, macht er keinen Hehl daraus, daß der Lösungsweg mit dem Beratungs- und Hilfeplan seinen eigenen Vorstellungen am nächsten kommt. Als sicher gilt auch, daß die Mehrheit seiner Mitbrüder diese Ansicht teilt. Doch wie die 27 Diözesanbischöfe und 40 Weihbischöfe letztlich abgestimmt haben, bleibt geheim: Die Versammlung hat ihren Vorsitzenden gebeten, das Ergebnis nicht bekanntzugeben und statt dessen zuerst den Papst zu informieren - nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch aus Respekt gegenüber dem Amt, wie es heißt.

Daraus läßt sich schließen, daß es eine engagierte, leidenschaftliche und streitbare Diskussion zwischen den Bischöfen gegeben hat - was der Mainzer Bischof auch ausdrücklich bestätigt: "Wir haben uns nichts geschenkt. Wir haben miteinander gerungen. Wir sind aber beieinander geblieben." Trotz unterschiedlicher Meinungen habe man "ein hohes Konsenspotential" mobilisieren können. Herausgekommen ist dabei ein "Votum", eine Entscheidung vorläufiger Art, die keine Rechtskraft aus sich selbst besitzt, aber mehr als ein Stimmungsbild darstellt und eine Richtung der Meinungsbildung erkennbar machen soll.

Keine "glatte" Lösung Zum Inhalt dieses "Votums" äußert Lehmann sich am klarsten, als er einräumt, daß die meisten Bischöfe aus karitativpastoralen Erwägungen heraus den Verbleib im staatlichen Beratungssystem befürworten. Und er läßt auch keinen Zweifel daran, daß der favorisierte "Beratungs- und Hilfeplan" von einem solchen Verbleib ausgeht.

Daß der Plan den gesetzlichen Vorgaben entspricht und von den staatlichen Stellen akzeptiert wird, davon ist der Mainzer Bischof überzeugt. Genauso zuversichtlich ist der Konferenz-Vorsitzende, daß der "Beratungs- und Hilfeplan" den Forderungen des Papstes gerecht wird, weil er trotz des Verbleibs im Beratungssystem ein "Schein anderer Art", von einer "anderen Qualität" sei. Lehmann: "Er ist im ganzen ein einziges Zeugnis für das Leben und in keinem Fall irgendein Hinweis für die Akzeptanz eines Abbruchs." Die Schwelle in Richtung einer Abtreibung werde durch ein verbessertes Beratungs- und Hilfeangebot erhöht. Trotzdem sei auch der "Schein anderer Art" mit Mängeln behaftet, die ohne Gesetzesänderung nicht zu beseitigen seien.

"Glatte" Lösungen oder den idealen Weg, das haben viele Bischöfe während ihres zähen Ringens im Emsland erkannt, gibt es nicht. Alle Lösungsmöglichkeiten haben ihre Vor- und Nachteile. Auch der "Beratungs- und Hilfeplan" kann vor diesem Hintergrund nur eine Art "Notordnung" sein. Mit Händen zu greifen war in Lingen das Entsetzen der Oberhirten über eine Gesellschaft, die für die Würde und Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Kindes immer unsensibler geworden ist. "Es gibt eine fast unglaubliche Unfähigkeit zur Wahrnehmung eines grenzenlosen Unrechts", sagte Karl Lehmann im Eröffnungsgottesdienst: "Wenn man dieses Lebensrecht verteidigt, stößt man immer wieder auf taube Ohren."

In Lingen ist nach außen die Einheit gewahrt worden - allerdings um den Preis, daß man die Entscheidung erneut an Rom abgegeben hat. Jetzt erwartet man eine letzte Konsultation, deren Form und Zeitpunkt noch nicht feststehen; zuvor will Lehmann selbst den Papst über die Ergebnisse der Vollversammlung informieren. Die meisten Bischöfe drängen auf eine baldige Entscheidung und sind zuversichtlich, daß Johannes Paul II. sich nicht einfach gegen ihr Mehrheitsvotum stellen kann und will.

Denn damit würde der Papst mitten in der tiefsten Krise des österreichischen Katholizismus auch die Loyalität der deutschen Kirche auf eine schwere Probe stellen. Für den Fall, daß die Antwort aus Rom negativ ausfällt, haben Bischöfe wie Franz Kamphaus (Limburg) und Hermann Josef Spital (Trier) bereits ihren Rücktritt angedeutet; die meisten aber würden sich wahrscheinlich fügen.

Möglich ist auch, daß jedem Ortsbischof die Entscheidung für sein Bistum freigestellt wird. Wie sagte doch Bischof Lehmann? Er sei kein Freund einer "pluralen Lösung", sähe in ihr zumindest für eine gewisse Zeit aber auch keine "Katastrophe".

Doch so oder so - die ruhigen Zeiten sind auch in der deutschen Kirche endgültig vorbei.

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