Demokratisch Geld verteilen

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Steuern zahlen Ja, mitreden Nein. Die Österreicher werden zum Budget nicht gefragt. Es gibt Modelle, die zeigen, dass es anders geht.

Für Verteidigungsminister Günther Platter 1,81 Milliarden Euro? Für Frauen- und Mädchenprojekte dreieinhalb Millionen Euro? Wofür Steuergelder verwendet werden, entscheiden formal die einzelnen Ministerien in Verhandlung mit dem Finanzminister. Und das Volk? Das würde vielleicht manchmal anders entscheiden, wenn es gefragt werden würde - und zwar nicht nur bei Wahlen, sondern zum Beispiel auch im Rahmen einer partizipativen Budgeterstellung.

Ein alternatives Modell hat sich jedenfalls im brasilianischen Porto Alegre - bekannt als dreimaliger Austragungsort des Weltsozialforums - auf kommunaler Ebene durchgesetzt. Die Arbeiterpartei übernahm 1989 die Macht in der Stadt und startete ein Pilotprogramm für Budgets. Die Bürger sollten fortan mitentscheiden, wie ein Teil des lokalen Haushalts verwendet werden soll. Es erfolgte zwar keine Übergabe der Macht an die Bevölkerung, aber es gibt Elemente direkter Demokratie, wie zum Beispiel die so genannten Regionalforen, und es wurden Formen der repräsentativen Demokratie - ohne Berufspolitiker - etabliert, etwa die Räte auf Gemeindeebene.

Demokratische Erfolge

Dieses Budgetmodell gibt in Porto Alegre den ärmsten Bevölkerungsteilen eine lautere Stimme. Der Prozentsatz der Haushalte, die an das Kanalnetz angeschlossen wurden, konnte jedenfalls seit Einführung dieser Budgetpolitik von 46 Prozent auf 85 Prozent erhöht werden, berichten Andreas Novy von der Wiener Wirtschaftsuniversität und Bernhard Leubolt vom Internationalen Referat der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) in einem Artikel zum Thema. Auch im Bildungsbereich konnten "beachtliche Fortschritte" erzielt werden: zwischen 1989 und 1999 habe sich die Zahl der Kinder an öffentlichen Schulen mehr als verdoppelt. Und das "Partizipative Budget" könne als "Schule der Demokratie" betrachtet werden, da sich die Bürger organisieren müssen, um ihre Anliegen vorzutragen und Prioritäten zu diskutieren. Zudem werde das Vertrauen in das kommunale Budget gestärkt, der Blick auf den Staat verändere sich: Staatliche Investitionen würden wieder mehr als Rechte und nicht nur als Gefälligkeiten wahrgenommen.

So weit, so gut. Und wie schaut es in Österreich aus? Bundespräsident Heinz Fischer und Nationalbankgouverneur Klaus Liebscher nehmen im Parlament Platz: sie lauschen am 2. März der 6. Budgetrede von Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Die Rede über das erstellte Budget 2006 wird live im Fernsehen übertragen. Die Österreicher können den Ausführungen des Ressortchefs auch lauschen und ihm glauben - oder auch nicht.

Grassers Grundlagen

Das Budget wird ohne Partizipation der Bevölkerung erstellt - zwar auch nicht vom Finanzminister und seinen Beamten allein, aber die Mitsprache des Volkes hält sich in Österreich in Grenzen.

Im Finanzressort wird das Budget aber auch nicht einfach nach Lust und Laune errechnet: Grundsätzlich wird das Budget auf Grund der Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) erstellt. Vor allem die Herbstdaten über Wirtschaftswachstum, Inflationsrate, Arbeitslosigkeit und ähnliche werden herangezogen, um die voraussichtlichen Steuereinnahmen (2006: 48,3 Milliarden Euro) zu berechnen. Das Bundesfinanzgesetz muss im Parlament beschlossen werden, hat eine Begutachtungsphase, geht durch Budgetausschüsse und wird in einem Expertenhearing zerpflückt.

Viele Budgetmittel sind auch gesetzlich festgelegt, auf Jahre hin verplant, bevor man überhaupt beginnen kann zu verhandeln. Und so sind Verschiebungen möglich, aber eher in einem geringen Ausmaß - weniger als sich das vielleicht der Laie vorstellt. Zum Beispiel im Bildungsministerium umfasst ein hoher Anteil der Budgetmittel die Personalkosten für die Lehrer, oder die Arbeitslosenzahlungen werden auf Grund gesetzlicher Vorgaben durchgeführt.

Entwicklungshilfe findet aber hier einmal umgekehrt statt - vom Süden in den Norden - , denn das Modell schwappt allmählich nach Europa über, berichtet Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Getragen wird es in erster Linie "von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich davon mehr Demokratisierung, mehr Transparenz und Kontrolle sowie ein besseres Eingehen auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Bürger erwarten", erklärt die Wirtschaftsexpertin.

In Österreich gebe es allerdings derzeit noch keine partizipativen Ansätze. In der Hinsicht würde am allermeisten in Deutschland passieren. Auch die Stadt Manchester in Großbritannien habe sich für diese Art der Budgeterstellung entschieden.

"Es gibt in Europa besonders in Italien und Spanien Modelle, die sich an dem in Porto Alegre anlehnen. Bei den Modellen in Deutschland wird Mitbestimmung jedoch zur bloßen Befragung und der emanzipatorische Charakter des "Partizipativen Budgets" aus Porto Alegre geht verloren", bemängelt Bernhard Leubolt.

In Deutschland wurden jedenfalls sechs Modellprojekte initiiert, die unter der Überschrift "kommunale Bürgerhaushalte" (www.buergerhaushalt.de) laufen und an denen die Bertelsmann-Stiftung beteiligt ist.

Dabei informieren die Städte ihre Bürger über den Haushalt - mittels Broschüre, Informationsveranstaltungen, Presseinformationen, Internet. Die Bürger können zu allen Fragen rund um das Budget ihre Meinung sagen, Vorschläge und Anregungen machen. Die Entscheidung über die Vorschläge und den Haushalt insgesamt bleibt dann beim Stadtrat. Wenn das Budget beschlossen ist, informiert die Stadt wiederum die Bürger, was aus ihren Anregungen geworden ist, wie und warum der Stadtrat so entschieden hat.

"Es besteht oftmals die Angst, dass die Bürger weniger wissen als die gewählten Politiker. Zusätzlich besteht die Sorge, dass es nicht funktionieren kann. Die größte Hürde ist jedoch sicherlich das paternalistische Politikverständnis der regierenden Großparteien", begründet Leubolt die nach wie vor mangelhafte Übernahme des Konzeptes aus Brasilien.

Zu kompliziert?

Schratzenstaller verweist darauf, dass es für einen normalen Bürger gar nicht so einfach sei, sich in einen Haushaltsprozess einzubringen. Denn selbst auf kommunaler Ebene seien die Budgetunterlagen sehr umfangreich und technisch, und man brauche spezifisches Wissen, um ein Budget lesen zu können. "Das kostet also Zeit und Mühe, ebenso wie es Zeit und Mühe kostet, zusammen mit anderen Bürgern und den politischen Vertretern an Alternativen zu arbeiten."

Die Expertin gibt auch zu bedenken, dass man sich überlegen müsse, wie viel das Votum der teilnehmenden Bürger im Verhältnis zu der Entscheidung der demokratisch gewählten Politiker zählen solle. "Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, auf der Grundlage welcher demokratischer Legitimation diejenigen Bürger, die Zeit und Lust haben, sich in einen solchen Haushaltsprozess einzuklinken, ihre Vorstellungen einbringen können. Um es etwas drastisch auszudrücken: Es besteht schon die Gefahr, dass sich hauptsächlich Angehörige der gut ausgebildeten Mittelschicht engagieren und ihre Vorstellungen - auf Kosten der übrigen Bürger - "durchdrücken", gibt Schratzenstaller zu bedenken.

Der Finanzminister gestand bei seiner Budgetrede jedenfalls "freimütig ein, dass wir nicht alles perfekt machen. Wir versprechen keine Wunder, aber wir halten Wort und arbeiten hart und konsequent an einer Verbesserung der Lebensbedingungen unserer Bevölkerung." Hoffentlich, mag sich so mancher Bürger denken.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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