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Umgangston mit Oberkellnern

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Ich habe mein ganzes Leben darüber nachgedacht, wie man mit Kellnern umgehen muß. Es ist ein interessantes Problem. Wir stehen hier ja Auge in Auge mit den letzten Resten einer feudalen Epoche. Mit einer demokratischen Verhaltensweise kommt man deshalb auch nicht aus. Es gab einmal eine Periode, und ich denke nicht ohne Scham daran zurück, in der ich glaubte, daß ein freundlicher, herzlicher Gesprächston die Lösung wäre. Wie vollständig verkehrt ist diese Ansicht. Der Kellner ist ja nicht die Partei, die zufriedengestellt werden muß. Die sind Sie. Er ist von beiden derjenige, der sich als Herr benimmt und auch als Herr gekleidet ist. Auch seine Lebensphilosophie steht fest: sich über nichts zu wundern und konstant der Geringere zu sein. Sein Streben ist die englische Butlerschaft. Durch Ihr joviales Getue aber zerstören Sie das Spiel. Sie ignorieren den Abstand, der zwischen Ihnen beiden angenommen wird. Seine Frackjacke, seine Smokingweste, ja seine ganze Anwesenheit wird plötzlich völlig sinnlos. Der Mann verliert seinen Stützpunkt, der in einer dauerhaften Inferiorität wurzelt. Er weiß nicht mehr, woran er mit Ihnen ist. Oft sieht man diesen Fehler, der vor allem von Leuten des Mittelstandes oder der Landbevölkerung begangen wird. Sie glauben, daß ein Kellner auch ein Mensch ist. Mein Himmel, das ist Selbstverständlichkeit. Aber indem Sie diese Selbstverständlichkeit unterstreichen, erniedrigen Sie einen Kellner maßlos. Sie tin, als ob seine

Dienstbarkeit echt wäre. Sie machen durch Ihre falsche Herzlichkeit einen echten Kellner aus ihm. Müssen wir ihm denn so grob und von oben herab begegnen? Ach„ jetzt verfallen Sie wieder in das andere Extrem. Sie dürfen natürlich niemals eingehen auf die Rolle, die er Ihnen scherzhaft aufdringt. Sie sind kein- wirklicher Baron, verstehen Sie das recht. Ebensowenig ist er ein echter Lakai. Es ist nur Spiel. Und er will dieses Verhältnis nur spielen, solange es nicht Ernst wird. Ihr Verhältnis zu ihm ist ein bewußter Anachronismus. Die einzige Möglichkeit, t;m in dieser kurzen Komödie korrekf zu agieren, liegt in einer Haltung von unbekümmerter Achtlosigkeit. Es gibt keine andere Lösung. Aber es darf keine lässige Nonchalance werden. Sie können nicht Ihre Bestellungen schreiend kund und zu wissen geben oder ihm ein zu großes Trinkgeld vor die Füße werfen. Genau so unrecht ist es, das alles zu schüchtern zu machen. Sie dürfen sich nicht von ihm zusammendonnern lassen, noch er sich von Ihnen. Eine kühle verstandesmäßige Haltung, worin Sie die angebliche Servilität von seiner Seite mit gleichgültiger Reserve von Ihrer Seite beantworten. Siehe da, der einzige Weg, auf dem Sie sich aus der unmöglichen Situation retten, in der Sie sich fünf Minuten lang mit einem wahlberechtigten Mitbürger befinden.

Autorisierte Uebertragung aus dem Holländischen von Marga E Thierfelder.

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