Demokratie - ihre Gegenwart

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Attac-Mitbegründer Christian Felber über Demokratie-Albtraum und -Traum in der EU.

Zunächst: Die Europäische Union erwuchs aus so etwas wie einem Traum: dauerhafter Friede in Europa, Überwindung aggressiver Nationalismen. Dieser Traum ist es absolut wert, weitergeträumt zu werden. Die Wirklichkeit sieht derzeit aber anders aus: Aus dem Friedensprojekt wird mehr und mehr eine aggressive Freihandelszone, die die Freiheiten des Binnenmarktes und den Wettbewerb über Werte wie Gesundheit, Umwelt, soziale Sicherheit oder Gerechtigkeit stellt. Es gibt eine Währungs- und eine Zollunion, aber keine Kapitalsteuer- und Sozialunion. Mit der Lissabon-Strategie hat die eu die globale Wettbewerbsfähigkeit zum höchsten Ziel erhoben. Konkurrenz zwischen Staaten oder Wirtschaftsräumen ist aber in jedem Fall fatal: Ist man selbst im Hintertreffen, machen sich Resignation und Depression breit wie derzeit in der eu. Gewänne man den Lissabon-Krieg, zwänge man alle anderen in diese Position: keine kluge Strategie für ein "Friedensprojekt".

Mehr globale Kooperation

Bei einem Weiter-wie-bisher habe ich daher zunächst einen Albtraum: Im Binnenmarkt werden Trinkwasser, Gesundheit und Sozialversicherung liberalisiert. Mit der Dienstleistungsrichtlinie treten 25 Rechtssysteme zueinander in Konkurrenz, die niedrigsten Standards bei Steuern, Umwelt, Sozialem setzen sich durch.

Aber ich habe auch einen Traum: ein ökologisches, soziales und friedliches Europa. Statt im globalen Konkurrenzkampf Sieger sein zu wollen, bemüht sich die eu um globale Kooperation zur Regulierung der Weltwirtschaft: Konzerne bedürfen verbindlicher Sozial-, Umwelt, Menschenrechts- und Steuerstandards. Die Weichen globaler Abkommen werden stärker zugunsten des Lokalen gestellt. Eine europäische Strategie für nachhaltige Entwicklung verringert den Ressourcenverbrauch auf global gerechtes Niveau und leitet einen ökologischen Strukturwandel hin zu biologischer Landwirtschaft, öffentlichem Verkehr, Energieeffizienz und erneuerbarer Energie ein.

Europaweite Mindeststandards bei Sozialversicherung und Arbeitsrechten werden eingezogen und nach oben weiterentwickelt. Der Steuerwettbewerb wird durch eine europäische Gewinn-, Kapital und Vermögensbesteuerung beendet; aus den Mehreinnahmen werden die Transfers in die neuen und ärmeren Mitgliedsstaaten angehoben, der eu-Etat wird kräftig erhöht. Die Europäische Zentralbank erhält den Auftrag¸ Vollbeschäftigung höher zu bewerten als Geldwerterhalt. "Null Armut", heißt ein neues eu-Programm.

Das Subsidiaritätsprinzip wird gestärkt. Oberösterreich darf legal gentechnikfrei werden, die Mitgliedsländer dürfen die volle ökologische Kostenwahrheit anwenden und in die Straßenmaut einrechnen. Agrarexportförderungen werden eingestellt, die Direktzahlungen auf eine Betriebsgröße von 50 bis 100 Hektar begrenzt und an die Kriterien Umweltschutz, Ernährungssouveränität und Beschäftigungsintensität gekoppelt.

Mehr Rechte für Parlament

Öffentliche Güter - von natürlichen Ressourcen über Trinkwasser, Gesundheit und Bildung bis zu Internet und Software - werden neu definiert, demokratisiert und vom Wettbewerb ausgenommen. Die gats-Verhandlungen und Binnenmarkt-Liberalisierungen werden gestoppt. Der Konzern-Lobbyismus wird durch strenge Veröffentlichungsvorschriften zurückgedrängt. Das Europäische Parlament erhält ein volles Initiativ- und Mitbestimmungsrecht in allen Materien, es darf nicht nur die Kommission wählen, sondern auch einzelne Kommissare abwählen. Geförderte europäische Medien schaffen langsam eine europäische Öffentlichkeit. Das europäische Volksbegehren wird eingeführt und die Mitglieder des neuen Verfassungskonvents direkt vom Volk gewählt. Europäische Werte - Sozialmodell, Menschenrechte, Nachhaltigkeit, globale Kooperation - werden mit der Realpolitik in Einklang gebracht. Die Union baut an lokalen Wirtschaftsstrukturen, die nicht auf den Werten Eigennutz und Konkurrenz basieren, sondern auf Gemeinwohl und Kooperation.

Der Autor ist freier Publizist und Mitbegründer von Attac Österreich. Am 4. Februar 2006 erscheint bei Deuticke "Das kritische eu-Buch" (Hrsg. Attac).

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