Erlösung gegen Verbrechen

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Annette Döbrichs Krimi "Die Last der Engel" ist nach theologischen Mustern gestrickt und geht der Frage nach, wie ein Mensch anderen zum Engel werden kann.

Religion im Kriminalroman boomt. Neu ist vielleicht, dass auch Theologie und Kirche selbst zu Themen von Krimis werden. Christan Ueckers Kirchenkrimis aus dem evangelischen Milieu am Land rund um Lübeck stehen dafür. Fritz Stolz hat in seiner "Kirchgasse 6" einen Krimi geschrieben, der die theologische Fakultät Zürich anlässlich des vermeintlichen Fundes der Logienquelle Q in tiefe Verbrechensabgründe stürzt. Christoph Wagner - um ein Beispiel aus Österreich zu erwähnen - hat in seinem "Schattenbach" nicht nur ein feines kulinarisches Netz über das Verbrechen gespannt, sondern auch ein theologisches bzw. religionskundlich-ethnologisches.

Theologischer Krimi

Oft sind Kirche und Theologie nur ein soziologisch interessanter Kontext, in dem grundsätzlich eine gewisse Weltentrücktheit vorausgesetzt wird, was dann eine reizvolle Spannung zu sehr irdischen Phänomenen wie Mord und Verbrechen abgibt. Dass im Roman selbst theologische Themen abgehandelt werden, ist vergleichsweise eher selten. Als Beispiel für einen solchen Krimi, in dem die Handlung nach theologischen Mustern gestrickt ist, möchte ich einen Roman von Annette Döbrich vorstellen. Annette Döbrich, geboren 1949 in Würzburg, ist gelernte Buchhändlerin und schreibt seit 1995. Sie lebt als "Pfarrfrau" mit drei erwachsenen Kindern in Bayern. Ihr vierter Krimi trägt den bezeichnenden Titel "Die Last der Engel". In ihm geht es um die Frage, wie ein Mensch anderen zum Engel wird. Es ist ein Weihnachtskrimi, in dem das Motiv der Engel in allen seinen Facetten vorkommt: Von der Schaufensterdekoration bis hin zum Altarbild, von der liebevollen Weihnachtsbastelei bis zum Krippenspiel in der Pfarrgemeinde.

Konfessionell angesiedelt

Annette Döbrich hat sich ausführlich beraten, die theologische Expertise stammt von Gunter Wenz, dem Professor für evangelische Dogmatik an der Uni München. Der Ort der Handlung ist München. Kirchliche Bezüge sind zwischen katholisch und evangelisch aufgeteilt, nur wer die Feinheiten konfessioneller Unterschiede kennt, wird merken, wo was angesiedelt ist.

Die Beziehung zu Weihnachten bestimmt das Geschehen: Wie in Bethlehem ist auch hier die Hauptfigur ein neugeborenes Kind. Sein Leben ist bedroht, nicht nur durch den angeborenen Diabetes, der zu spät erkannt wird, sondern auch durch undurchschaubare Verstrickungen in verbrecherische Machenschaften zwischen der Ukraine und Bayern. Dass das Leben dieses Kindes dennoch bewahrt bleibt, nimmt Motive der Weihnachtsgeschichte auf und greift doch über sie hinaus: Der Roman beginnt mit einem ausführlichen Zitat aus dem Buch der Offenbarung (Offb 12, 1-6 ), wo die schwangere Frau vom Drachen bedroht in die Wüste flieht, um ihr Kind zu gebären. Erst durch den siegreichen Kampf der Engel gegen den Drachen ist Erlösung möglich.

Annette Döbrich präsentiert zwei Engelgestalten: Zum einen den Hauptkommissar Hans Lichtenberg, ein - nomen est omen - "Aufklärer" im besten Sinn des Wortes. Er lebt als Witwer mit seiner Tochter Lena und hat zuwenig Zeit für das Kind, was ihm durch die Vorwürfe seiner Schwiegermutter Ute aus Hamburg, die zu Weihnachten auf Besuch kommt, deutlich ins ohnedies schlechte Gewissen geschrieben wird. Lichtenberg hat in den Krimis von Annette Döbrich den früher ermittelnden evangelischen Pfarrer im Ruhestand Reichert abgelöst. An ihm wollte die Autorin zeigen, wie eine evangelisch geprägte Spiritualität gelebt wird und eben auch - etwa durch eine entsprechende Losung aus der Bibel - zur Aufklärung von Verbrechen genutzt werden kann. Pfarrer Reichert erinnert damit ein wenig an Pater Brown und Rabbi Small. Annette Döbrich hat ihn durch einen Profiermittler ersetzt, weil sie damit tiefer in die Welt der Verbrechen einsteigen konnte. Aber Pfarrer Reichert taucht als liebevolles Aperçu zumindest am Rande weiterhin in jedem Krimi der Münchner Autorin auf.

Traum von Heiliger Familie

Die zweite Engelsgestalt im Weihnachtskrimi ist Elfie Brunnhuber, arbeitslos, alleinstehend und unglücklich. Ihre Erlösung aus dem grauen Alltag geschieht durch ausführliche und wohlinszenierte Tagträume, die sie in eine Villa am Starnberger See versetzen, mit Traummann und Kind natürlich. Es ist die Heilige Familie der Regenbogenpresse, von der Elfie träumt. Am Ende der Geschichte braucht Elfie Brunnhuber den Erlösungsersatz durch Tagträume allerdings nicht mehr, sie ist wirklich erlöst: Sie ist ihre "Traummänner" los, sie ist endgültig befreit von Jürgen, ihrem Ex-Freund, der sie geschlagen und vergewaltigt und zur Abtreibung des langersehnten Kindes gezwungen hatte. Auch sie, die gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen für das neugeborene Kind, das namenlos bleibt und schlicht und einfach vielsagend "Prinz" genannt wird, zum Schutzengel geworden war, erfährt damit so etwas wie Erlösung.

Gegen Sünde und Tod

Der theologische Begriff der Erlösung meint nichts anderes als die Befreiung des Menschen aus gefährlichen, unterdrückenden, versklavenden und bedrohlichen Zuständen, in denen er und sie sich nicht selbst helfen kann. Dafür steht die alte inhaltliche Beziehung zwischen der Erlösung und dem Loskauf von Sklaven und Sklavinnen. Theologisch sind die versklavenden Mächte, aus deren Gewalt uns Jesus Christus befreit, kurz und bündig gesagt die Sünde und der Tod. Luther bezeichnet sie in seiner Auslegung des Glaubensbekenntnisses im Großen Katechismus als die "Tyrannen und Stockmeister". Unter ihrer Gewalt ist der Mensch ratlos, hilflos und trostlos. Erst Christus, der "Herr des Lebens, der Gerechtigkeit, alles Guten und der Seligkeit" hat uns "aus der Hölle Rachen gerissen, gewonnen, freigemacht".

Diese theologisch-biblische Ebene gibt den Hintergrund ab, vor dem das Geschehen um das bedrohte Kind im Umfeld des Verbrechens abläuft. Grundsätzlich wird in Annette Döbrichs Buch etwas spürbar von der Ambivalenz der Kindheit, die unsere Gesellschaft prägt: Auf der einen Seite die hoch gesteckten Erwartungen an ein Kind, von dem ja auch Elfie Brunnhuber träumt. Für die Erfüllung des Kinderwunsches wird beinahe alles getan. In starkem Kontrast dazu steht die Bedrohung der Kinder, insofern ihnen ihre Zukunft genommen und ihr Wert geraubt wird. Im globalen Kontext führt das zu ihrem millionenfachen Tod, der wie ein unausweichliches Schicksal hingenommen wird. Ein Stück weit hat Annette Döbrich diese Ambivalenz zum Gegenstand ihres Krimis gemacht. Sie erzählt die Story auf dem Hintergrund der biblischen Geschichte. In einem Interview hat Annette Döbrich einmal gemeint, dass es in der Literatur heute ohnedies nur noch mehr oder weniger variantenreiche Wiederholungen der klassischen Geschichten gibt, zu denen eben auch die biblischen gehören.

In einem Kind erfahrbar

Weihnachten steht dafür, dass sich die Erlösungssehnsucht in einem Kind verleiblicht und damit erfahrbare Realität wird. "O komm, du Sohn aus Davids Stamm, du Friedensbringer, Osterlamm. Von Schuld und Knechtschaft mach uns frei und von des Bösen Tyrannei." So singt die Gemeinde im Advent. Nicht einmal ein Verbrechen kann davon abhalten.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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