Dževad Karahasan - © Foto: APA / DPA / Frank Rumpenhorst

Sarajevo erinnern und erzählen: zum Tod von Dževad Karahasan

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In seinen Werken erinnerte er immer wieder an den Ort, „an dem sich die verschiedenen Gesichter der Welt in einem Punkt sammeln wie zerstreute Lichtstrahlen in einem Prisma“: Sarajevo. Am 19. Mai ist der Schriftsteller Dževad Karahasan in Graz gestorben.

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In seinen Werken erinnerte er immer wieder an den Ort, „an dem sich die verschiedenen Gesichter der Welt in einem Punkt sammeln wie zerstreute Lichtstrahlen in einem Prisma“: Sarajevo. Am 19. Mai ist der Schriftsteller Dževad Karahasan in Graz gestorben.

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Er war die Stimme Sarajevos in Österreich – und zugleich stimmt diese Aussage nicht, denn Dževad Karahasan erinnerte mit seinen Romanen, Dramen und Essays ja gerade an die Stimmen Sarajevos im Plural.

Am 25. Jänner 1953 in Duvno als Sohn muslimischer Eltern geboren, ging er bei Franziskanern zur Schule, studierte in Sarajevo Literatur- und Theaterwissenschaft, war dort als Dramaturg tätig und lehrte an der Akademie für szenische Künste. Diese Stadt mit ihrer Mischung aus Völkern, Religionen, Sprachen und Kulturen gilt vielen als Metapher für die Welt, als Ort, „an dem sich die verschiedenen Gesichter der Welt in einem Punkt sammeln wie zerstreute Lichtstrahlen in einem Prisma“, als Sinnbild dafür, wie Menschen zusammenleben könnten. „Schon zur Zeit ihrer Gründung hatten Menschen dreier monotheistischer Religionen, der islamischen, katholischen und orthodoxen, in der Stadt gelebt, es wurde Türkisch, Arabisch und Persisch, Bosnisch und Serbisch, Ungarisch, Deutsch und Italienisch gesprochen.“

Keine binären Oppositionen

Man könne diese Stadt nicht mit binären Oppositionen beschreiben, schrieb Karahasan 2010 in „Die Schatten der Städte“, denn wenn man etwa zu einem Begriffspaar wie „sakral/profan“ greife, „wird man notwendigerweise mit der Frage konfrontiert ‚welches Heilige‘ oder, da sich das Heilige in der sozialen Sphäre hauptsächlich als Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft manifestiert, ‚wessen Heiliges‘“.

In „Sarajevo – Porträt der inneren Stadt“ (1993) nannte Karahasan daher den Pluralismus als Grundmerkmal dieses von ihm als „dramatisch“ bezeichneten Kultursystems, das er von jenen „dialektischen“ der großen Städten des Westens unterschied: Während dort „das gegenseitige Verschlingen oder, wenn es schöner klingen soll, das Enthaltensein des Niedrigeren im Höheren, des Schwächeren im Stärkeren“ das Grundverhältnis darstelle, sei im Gegensatz dazu „im dramatischen Kultursystem das Grundverhältnis die Spannung“, denn: „Jedes Mitglied des dramatischen Kultursystems braucht den Anderen als Beweis für seine eigene Identität, weil die eigene Besonderheit im Verhältnis zur Besonderheit des Anderen bewiesen und artikuliert wird.“

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