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Die Tragödie des Humanismus ohne Gott

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Unter diesem Titel erscheint also „Le Drame de l'Humanisme athee“ im österreichischen Blickfeldi ein Werk, das seit seinem Erscheinen 1943 in Frankreich zum Ereignis geworden ist: zahllos die Auseinandersetzungen in Zeitschriften, die Diskussionen, die hier anknüpfen. Es steht zu hoffen, daß es auch bei uns in die lethargische, müde Atmosphäre, in die Abgestandenheit der Geister frischen Wind einbläst und zum Auftrieb wird.

Lubac, an der vordersten, gefährdetsten Front der französischen Theologie stehend, setzt sich hier mit den Vätern des weltanschaulichen, wissenschaftlichen und, oft möchte man sagen, religiösen Atheismus im 19. Jahrhundert auseinander. Feuerbach will den Glauben an Gott durch den Glauben an den Menschen ersetzen. Nietzsche will den Menschen aus den Angst- und Minderwertigkeitskomplexen, aus den würgenden Klammern des Christentums befreien. Comte, der Vater des Positivismus, will den Katholizismus ersetzen durch ein absolutistisches Regime positivistischer Gelehrter und Politiker. Neben diesen Propheten des Neuen Reiches, des Menschgotts, steht als ihr Bruder — ist er doch durch ihre Versuchungen gegangen —, der Prediger des Gottmenschen, Dostojewski.

Lubac ist in zwei Bezügen vielen deutschen Forschern um einige Ellenlängen voraus; er kann sich auf das lebhafte Interesse des heutigen Frankreich für die deutschen Denker des

19. Jahrhunderts stützen, daß sich in einem bei uns unbekannten Reichtum an Einzeluntersuchungen dokumentiert. Neben den linken Junghegelianern, neben Marx und Nietzsche, genießen Kierkegaard und Dostojewski seit Jahren steigende Beachtung, Comte ist seit langem ein Klassiker des französischen Studiums. Zu diesem wissenschaftlichen Vorsprung gesellt sich Lubac's spirituelle Eintiefung des Problems. Mit der Sonde des Christen, der in den Schrecknissen unserer Zeit hellwach geworden ist, arbeitet er tiefenpsychologisch die seelische Struktur seiner Persönlichkeiten heraus (ein glanzvolles Beispiel etwa Seite 240, wo er mit den Worten Andre Gides Nietzsches Eifersucht auf Christus behandelt). Weil nun Lubac auf diesen beiden Gebieten so stark ist, möchten wir hier zwei Dinge bemerken, die er unseres Erachtens vernachlässigt hat. Wie Karl Löwith („Von Hegel zu Nietzsche“) eindringlich nachweist, läßt erst die Hegel-Beziehung dieser Epigonen — Feuerbach, Marx, auch noch Nietzsche — ihre Lehren im vollen Licht des zeitgeschichtlichen Zusammenhangs erscheinen. Feuerbach, Marx, Nietzsche stehen in ihrer Kritik am Christentum in einer großen Linie, die von Hegel zu Rüge, B. Bauer, D. F. Strauß, Stirner führt, sie sind nur Gipfel einer mächtigen Wellenbewegung. Diese an sich scheint uns nun von Lubac in einem wesentlichen Punkte nicht ganz richtig herausgestellt worden zu sein. Allen diesen Denkern geht es um die Wiederfindung des ganzen Menschen, um die Aufhebung der „Selbstentfremdung des Menschen“, um mit Marx zu sprechen, um die Konstitution seiner leibseelischen Ganzheit und deren Befreiung von religiösen und soziologischen Umklammerungen und Fesselungen. Es geht nun nicht an, das einseitig verkürzte Menschenbild Feuerbachs, Nietzsches usw. einfach mit einem christlich-konstruierten Menschenbild zu konfrontieren, daß sich auf Aussagen der Kirchenväter, der Heiligen Schrift, etwa noch des heiligen Thomas stützt, um es angesichts der Herrlichkeit, Lebensfülle und inneren Mächtigkeit dieses christlichen Menschenbildes zuschanden werden zu lassen. So einfach lagen damals die Dinge nicht! Und weil sie auch heute noch vielfach nicht so einfach lio-gen, muß hier davon gesprochen werden: Das christliche Menschenbild, welches diese linkshegelianischen Pastorensöhne, Theologiedozenten, Weltreformer und Soziologen in Theorie und Praxis kennenlernten, mußte in seiner Dürre, Plattheit, Enge und Halbheit herausfordern zu einer „Reformation“, einer ganzheitlichen, an den Ursprüngen orientierten Neuschöpfung. Wir müßten also, wollten wir Feuerbach und Nietzsche gerecht werden, die christliche Literatur der 1830- bis 1870iger Jahre durchblättern und tief eintauchen in die Beklommene Atmosphäre des tatsächlichen christlichen Lebens jener Zeit. Ein Scheeben, ein Deutinger kam nie in den Gesichtskreis dieser Missionäre des Atheismus, in Frankreich haben im Zeitalter Comtes die Katholiken Ansätze einer inneren Erneuerung im eigenen Lager abgewürgt — ein Blick auf das Leben Heilos genügt. Erst wenn wir so tief bohren, enthüllt sich uns die Tragödie des atheistischen Humanismus inihrerchrist-lichen Dimension: als letzte Strophe eines christlich begonnenen Liedes, der Selbst-findung des Menschen, Gott und der Welt gegenüber geweiht. Die Vehemenz und Durchschlagskraft dieser Missionäre ihrer atheistischen Religion wird auch nur von hier aus verständlich: sie glauben in dieser Welt-st'mde als Homologen zur Ablösung der Theologen berufen zu sein.

Die vielen Vorzüge dieses reiches Buches können und sollen durch kritische Bemerkungen dieser Art nicht gemindert werden. Für den einigermaßen an der Entstehung unserer heutigen inneren Situation interessierten Menschen ist seine Lektüre unerläßlich. Um die schwierige deutsche Übertragung und Bearbeitung hat sich Eberhard Steinacker viel Mühe gegeben, Hugo Rahner schrieb ein ansprechendes, einfühlendes Vorwort; er stellt auch ein letztes Anliegen dieses WeTkes heraus: „eine Gewissenserforschung unserer eigenen Christlichkeit.“

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