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Vergleichende Weltbildforschung

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Wer den interessanten Vortrag des Dekans der Wiener katholisch-theologischen Fakultät, Univ.-Prof. Dr. Albert Mitterer, anläßlich des Festes des heiligen Thomas von Aquino bei der diesjährigen Akademie gehört hat, der weiß, was der Verfasser des eben erschienenen Buches „Zeugung def Organismen, insbesondere des Menschen“ (Verlag Herder, Wien) will, und er weiß ihm diese Tat auch zu danken. Es handelt sich hier nicht um ein Einzelwerk, sondern um einen Teil der wissenschaftlichen Leistung größten Ausmaßes: neue Wege zu dem Aquinaten sollen gefunden werden; und da ist der „weltbildformend e“, den Prof. Mitterer in seinem Vortrag an dritter Stelle anführte, für den Theologen und Thomas- forscher wie für den Wissenschaftler überhaupt von größter Bedeutung. Handelt es sich dodi darum, die Geschlossenheit des „thomasischen“ Weltbildes aufzuzeigen und dieses Weltbild mit dem der modernen Naturwissenschaft zu vergleichen. Zwei Voraussetzungen, die heute meist nur getrennt vorhanden sind, sind zu diesem Unternehmen notwendig: die genaueste Kenntnis der Lehre des heiligen Thomas und die der modernen Naturwissenschaft. Nur so ist ein ' kritischer Vergleich der beiden Weltbilder möglich. Der Verfasser des neuen Thomasbuches gibt für ein biologisches Teilgebiet eine solche Gegenüberstellung. Er führt uns eiq in die thomasische Zeugungsbiologie in unübertrefflicher Klarheit und belegt durch alle wichtigen Thomasstellen im lateinischen Original, die in Anmerkungen jeweils beigefügt sind. Prof. Mitterer sieht in der modernen Wissenschaft die Erzeugungsbiologie durch die Entwicklungsbiologie verdrängt, keineswegs zum Schaden einer theistischen Weltauffassung. Durch die „Entwicklungswissenschaft“ wird „nidit Gott und nicht die Schöpfung, sondern eine naturwissenschaftliche Erzeugungstheorie des Aristoteles, die ursprünglich den biblisdien Sdiöpfungs- gedanken gar nicht kannte“, ausgesdialtet. „War Gott als Erzeuger ausgeschaltet, so war et um so mehr als Schöpfer eingeschaltet. Denn er hatte der Welt bei der Schöpfung konstitutionelle Dinge (ein konstitutionelles Bewegtsein) mitgegeben, die .er ihr nach thomasischer Schöpfungslehre nicht mitgegeben hatte und deren erzeugungstheoretische Seiten- und Ersatzstücke er infolgedessen als Beweger und Erzeuger nachtragen mußte“ (S. 40).

Was hier und an anderen Stellen bezüglich, der Vereinbarkeit eines naturwissenschaftlichen Weltbildes mit der theistischen Weltanschauung gesagt wird, ist von nidit zu unterschätzender

Bedeutung. Allzusehr wurden die beiden Begriffe oft in unrichtiger Weise miteinander verknüpft gesehen, nicht zum geringen Schaden wissenschaftlicher Forsdierarbeit wie auch gläubiger Lebensformung. Durch Arbeiten wie die vorliegende aus der Hand eines Theologen und besten Kenners des Theologen überhaupt werden Vorurteile beseitigt.

Dennoch kann man zu dem Werke audi kri- tisdi Stellung nehmen. Der Verfasser selbst weiß um den „Wandel des Weltbildes von Thomas auf heute“. Das naturwissenschaftliche Weltbild der Gegenwart, insbesondere das biologische, liegt noch nicht in jener Vollendung und Abgeschlossenheit vor uns wie ein Weltbild vergangener Epochen. Wir kennen in der modernen Biologie verschiedene Auffassungen, die sich gegenseitig ausschließen. Gedacht wird an die Positionen der Mechanisten und Vitalisten. Der Verfasser steht offenbar auf dem Standpunkt des Vitalismus; hält er doch an der „hylomor- phistischen Theorie der Beseelung und Belebung des menschlichen Körpers durch die Geistseele“ fest (S. 193), während er im Seinsbereich des Anorganischen in früheren Werken („Wandel des Weltbildes von Thomas auf heute“, Innsbruck 1935) die hylomorphistische Auffassung durch eine hylomere ersetzt wissen will. Hier erhebt sich eine entscheidende Frage, die von der Naturwissenschaft her allein wohl schwer gelöst werden wird: Wie vollzieht sich der Obergang aus einer Seinsstufe in die andere? Aber auch schon rein biologische Probleme liegen noch ungeklärt vor uns. Der Verfasser weiß um die „Verwicklungen“, die entstehen, wenn wir als „Ausgangsstadium der Entwicklungsgeschichte“ für den Menschen nicht jenes nehmen, das bereits mit der Geistseele beseelt ist“ (S. 193). Dort, wo es sich um pflanzliche oder tierische Organismen handelt, liegt — naturphilosophisch gesehen — das Problem nicht einfacher. Keinesfalls aber müßte zur Erzeugungsbiologie des heiligen Thomas als Ganzes zurückgegriffen werdei.. Grundgedanken metaphysischer und naturphilosophischer Art ließen sich vielleicht übernehmen.

Das alles zeigt, daß wir in der neuen wissenschaftlichen Arbeit des Verfassers, ganz abgesehen von ihrem historischen Wert für die Thomasforschung, ein Werk vor uns haben, mit dem sich vor allem der Biologe, soweit er sich nicht mit einem beschreibenden Charakter seiner Wissenschaft zufrieden geben wül, auseinandersetzen muß. Mit Interesse sehen wir den nächsten Veröffentlichungen des Verfassers entgegen.

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