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Vom „Katholizismus heute“

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Aus Gründen pädagogischer Verkürzung wird nicht selten versucht, sehr komplexe Phänomene erheblich einfacher darzustellen (etwa Idealtypisch) als der Wirklichkeit entspricht. Neben einer solchen, meist durchaus vertretbaren Simpli-fikation gibt es jedoch noch das Bemühen, einzelne Erscheinungen aus dem Bereich eines Ganzen, die keineswegs für dieses repräsentativ sind, herauszunehmen, sie überzubewerten und als Kennzeichnung für das Ganze hinzustellen (Überrepräsentation.) Noch bedenklicher und Ausweis eines unverkennbaren Ubelwollens ist es jedoch, wenn man unleugbar vorhandene Krankheitserscheinungen eines Organismus addiert und diesem gleichsetzt, weil man nicht Wahrhaben will, daß zum Beispiel die Krankengeschichte einer Partei nicht diese selbst ist.

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Auch das, was man „Katholizismus“ nennt, ist heute wie schon seit den Anfängen des deutschen Kulturkampfes Gegenstand von unsachlichen Vereinfachungen, wobei diese nicht selten Instrument eines verdeckten Atheismus sind. Die Verabsolutierung des Negativen, des Menschlichen am Phänomen des Katholizismus (oder an dem, was man darunter versteht) wird dabei zu dessen völliger Disqualifizierung benützt.

Was ist nun Katholizismus? Ist er eine Summe von „ultramontanen“ Vereinen, integriert etwa im „Zentralkomitee der Deutschen Katholiken“, ist er die Kirche in der Welt? Oder ist er nur durch literarische Zeugnisse darstellbar, wenn nicht gar in parteipolitischen Proklamationen, und daher einmal „links“ und dann „rechts“, um sich schließlich verschämt ob eines Allzuviel an Gesinnung in die „Mitte“ zu flüchten?

Vorsorglich muß man den Katho-lizisrngtj Jn^ seinem Wesqj};-„yoia. Katholizismus als Erscheinung unterscheiden. Die Erscheinung des Katholizismus ist das oft, aber nicht notwendig, in Organisationsgebilden deklarierte Bemühen von Katholiken, das Wesen des Katholizismus in einer individual- und auch in einer demokratischen Gesellschafts-Wirklichkeit spontan zu realisieren. Das Wesen aber ist die Summe „christlich-religiöser Wahrheiten“ (Karl Hilgenreiner), dargestellt von Katholiken in der Welt als ein höchstpersönlicher Vollzug des Sittengesetzes. Karl Adam hat einmal als Katholizismus die „positive Religion schlechthin“ angesehen, also Bekenntnispraxis von Katholiken einer Region in der Zeit, unter den Bedingungen dieser Zeit und in den ihr gemäßen Gestaltungsformen. Insoweit befindet sich der Katholizismus, weil eine profane Erscheinung, stets in Anpassung an die Welt und ist daher eine Erscheinung im Werden. Der Katholizismus des Mittelalters (unseres Kontinents) ist nicht dem der Gegenwart und jener des Indien von heute nicht dem der Bundesrepublik vergleichbar, die beide durchaus verschiedenen Gesellschaftsformen eingebunden sind. Der Katholizismus, stets im Wandel, aus vielen Schichten gefügt und von einem sich dauernd ändernden Milieu mitbestimmt, ist daher als Erscheinung nie eindeutig faßbar. Man kann wohl ermitteln, wofür die Katholiken einer Region, wenn nicht des ganzen Erdkreises, Zeugnis ablegen, heute und morgen, ist aber kaum je in der Lage, das Wte eindeutig zu definieren. Als Erscheinung gibt es daher nie den Katholizismus, sondern nur Katholizismen, eingeboren in differente gesellschaftliche Situationen und in die Bedingungen des jeweiligen regionalen Milieus. Da der Katholizismus sich nicht als ein Abstraktum versteht und sich absolut setzen will, ist er kaum in einer geschichtlichen Situation und gesellschaftlichen Ordnung ein Fremdkörper, wie der orthodoxe Kommunismus es bis zu seiner Desintegration gewesen war. Jeder Katholizismus lebt also auch aus den Bedingungen seines Milieus, er ist daher insoweit „Milieukatholizismus“, nicht Bezeugung eines Glaubens lediglich um des Glaubens, sondern auch um der Welt willen, •r lebt Im Spannungsfeld von Auto-

rität (Herrschaft) und Freiheit (heute: realer Demokratie), von Einzelmensch und Gemeinschaft, von Klerus und Laien. Es wäre eine falsche Identifikation, das Wesen des Katholizismus dem Katholizismus einer geschichtlichen Periode gleichzusetzen. Noch bedenklicher aber ist es, bei einer Entartung in der Erscheinungsweise eines Katholizismus auf die Gesamtkirche zurückzugreifen.

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In einem ausgezeichneten, wenn auch überkritischen Artikel im „Monat“ (Dezember 1963) bemüht sich Rüdiger Altmann um eine Analyse des bundesdeutschen Katholizismus und sieht sein Wesen in den katholischen Verbänden und in der Soziallehre. Diese sind die zwei „Räder“, auf denen sich das bewegt,

was Altmann als Katholizismus ansieht. So bestechlich es ist, die katholischen Vereine, deren Mitgliederzahlen sich summieren und daher augenscheinlich machen lassen, zum Rang einer Repräsentanz des Katholizismus zu erheben, würde dies doch eine Überrepräsentation darstellen. Damit nähert sich Altmann jenen Vereinfachern, die einige Romanautoren, „linke“ und „rechte“, mit dem Katholizismus gleichsetzen, und anderen, die kurial-bürokratische Verwaltungsakte allein als Dokumentation des Wesens der Kirche ansehen. *

Seit der Konstantinischen Wende ist die Kirche auch in der Welt und hat dadurch die öffentliche Bezeugung des Christlichen im profanen Raum, das, was wir heute Katholi-

zismus nennen, konstituiert. Die in einem unzureichenden Umfang verfügbaren geschichtlichen Materialien, die Tatsache, daß es christliches Zeugnis auch im toten Winkel der Geschichte gibt und gegeben hat, in Diskretion, wenn nicht lautlos, hat dazu beigetragen, daß der Katholizismus weithin nur in seiner Oberfläche (die aber auch zu ihm gehört) gesehen wird. Nicht aber in der Tiefe, nicht in den kleinen Dingen, die erst das Profan-Christliche ausmachen, nicht in der verborgenen Liebestätigkeit, in den informellen Gruppen, in der „kleinen Herde“, an der Wurzel also, sondern vor allem in der Million, die sich aus Anlaß eines Eucharistischen Kongresses um den Altar gruppiert.

Sicher gehört beispielsweise der schreibende Christ ebenfalls zum Katholizismus, der sich als literarische Aussage darzustellen vermag. Ebenso der Vereinskatholizismus und die katholischen Sozialkategorien, auf gesellschaftliche Gegenstände und Prozesse bezogene Thesen des Sittengesetzes. Auch die Million auf der Münchner Theresienwiese ist, und dies in einer drastischen Weise, Katholizismus.

Nie aber kann der Katholizismus, auch wenn er einer geschichtlichen Gesellschaft eingeboren ist, innerhalb einer sozialen Großgruppe etabliert sein, etwa im Bürgertum, im Proletariat oder im Landvolk. Wenn katholische Prominenz oder eine Gruppe von Menschen, die sich dafür hält, bisweilen dazu neigt, den Katholizismus als perfekt sozialverschlossen zu deklarieren und ihn auf eine Kleingesellschaft zu reduzieren, ist der Katholizismus nicht nur als Erscheinung profan, sondern wird in seinem Wesen profaniert: Ideologie mit katholischer Etikette.

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Die Schwierigkeit, den Katholizismus zu definieren, ihn inhaltlich zu fassen, sollte, einmal erkannt, Anlaß sein, nicht jede Erscheinungsform des Katholischen als „Katholizismus“ zu etikettieren. Das gilt vor allem für den politischen Raum. Ob es nun um Staatsiormen, pder ,urn Parteien geht, stets wird da, wo die Katholiken ein Einsatzgewicht haben, der Katholizismus in Engagement genommen, ohne zu bedenken, daß er mehr, aber auch zuweilen weniger als ein politisch-profanes Phänomen ist

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