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Das unbeweisbare Nein

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In die hochsommerliche Schwüle der Bundeshauptstadt platzte die „Spiegel“-Story wie eine Bombe. Man dementierte von SPÖ und FPÖ — konnte aber die Spekulationen und neuen Recherchen nicht stoppen.

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In die hochsommerliche Schwüle der Bundeshauptstadt platzte die „Spiegel“-Story wie eine Bombe. Man dementierte von SPÖ und FPÖ — konnte aber die Spekulationen und neuen Recherchen nicht stoppen.

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Aber wenn man von der ganzen „Spiegel“-Geschichte einmal absieht, bleibt ein harter Kern, der zunächst unauflösbar ist:

• Das Wahlergebnis vom 1. März hat die an sich schrumpfende, immer kleiner werdende Freiheitliche Partei mächtig aufgewertet. Es ist das gute Recht dieser Partei, daraus den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Wo die Grenze ist, an der taktisches Geschick in politische Unmoral umschlägt, läßt sich nur im Einzelfall und in Kenntnis aller Details sagen.

• Die Freiheitliche Partei hat das zeitweilige Bündnis mit dem „ideologischen“ Gegner weniger zu fürchten als das Bündnis mit dem großen Bruder, der sie einmal „inhalieren“ wollte.

• Stillhalteabkommen hin, Geheimpakt her, spätestens in zwei Jahren, und vielleicht schon früher, könnte Kreisky die Frage der Koalitionsbildung erneut aufwerfen. Für diesen Zeitpunkt hat er einige Ministerien parat: Außenministerium, Verteidigungsministerium, Landwirtschaftsministerium sind nicht durch starke Männer der Partei, sondern durch Fachleute besetzt, das Landwirtschaftsministerium durch einen Minister, der zuerst ablehnte und daher nicht an dem Posten kleben würde. Kreisky verfugt also, für den Fall des Falles, über das nötige Wechselgeld. Der Rest ließe sich mit der Wahlrechtsreform besorgen.

Wiens Nachrichtenbörse blieb angesichts der Brisanz der Story nicht lustlos. Und man spricht von Zusammenhängen, die möglicherweise eine neue Flut von Dementis heraufbeschwören :

Der SPÖ-Werbeexperte Fritz Senger, Direktor der (sozialistischen) „Progress-Werbung“ und nebenberuflich Fernsehmitarbeiter („Verkehrsrundschau“), soll mit der Abwicklung des Geschäftes mit den Millionenschulden aus der Wahlwerbung der FPÖ betraut gewesen sein. Er soll — so heißt es — mit dem VdU-Gründer Dr. Herbert Kraus die Details ausgehandelt haben. Unklar ist, ob die SPÖ direkt die Wahlkampfschulden der FPÖ

Photos: Votava beglichen hat (wie der „Spiegel“ meldete) oder ob es zu einer Übernahme der Schulden kam, die vorläufig nicht im Regreßweg von der FPÖ abgefordert werden. Die ganze Ereigniskette erhält weiter ihre Pikanterie, da Doktor Kreisky in der Hamburger „Spiegel-Redaktion den Chefredakteur Johannes K. Engel angerufen und eine Gegendarstellung angeboten hat. Engel soll dem Bundeskanzler erwidert haben, daß diese Gegendarstellung aber von der Redaktion auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden würde — worauf Doktor Kreisky erbost den Hörer aufgelegt haben soll. Schon vorher war eine „Intervention“ bei „Spiegel“-Her-ausgeber Augstein erfolglos gewesen. Dr. Kreisky über Augstein: „Klagen werde ich Augstein nicht... ich suche mir die Zeitungen aus, die ich klage.“

Die Wiener „Spieger-Korrespondentin Dr. Inge Cyrus antwortet auf Befragen, die „Story“ stamme zwar nicht von ihr, sie wisse aber, daß das „Material“, das aus Wien direkt nach Hamburg gelangt sei, aus sicherer Quelle, nämlich von einem Beteiligten, stamme. Das bisher letzte Glied in der Kette brachte die folgende, jüngste Nummer des „Spiegel“. Es war kein Artikel und keine redaktionelle Einschaltung, sondern ein Leserbrief. Freilich einer, der von dem ehemaligen VdU-Abgeordneten Oskar Hue-mer stammte und hochbrisante Mitteilungen enthielt:

Laut Huemer war es er, der zuerst, am 23. März 1970, mit SPÖ-Zentral-sekretär Probst über die schwierige politische Situation sprach, wobei Probst darauf hingewiesen haben soll, daß möglicherweise nur baldige Neuwahlen einen Ausweg aus dem Dilemma versprechen. FPÖ-Obmann Peter, dem Huemer am 13. April darüber berichtete, soll wegen der Äußerungen von Probst über baldige Neuwahlen „schockiert“ gewesen sein. Ein „begrenztes Stillhalteabkommen“ lag somit sozusagen in der Luft. Vier Tage vor Bildung der Minderheitsregierung erfuhr dann Huemer von einem gemeinsamen Bekannten, daß „Progress“-Chef Fritz Senger das Stillhalteabkommen zwischen SPÖ und FPÖ als abgeschlossen bezeichnete. Aber: gleichgültig, ob klares Licht in die gegenständliche Angelegenheit kommt oder nicht: noch in diesem Jahr wird man mehr wissen. Stimmt nämlich die FPÖ dem Budget der Minderheiteregierung zu, insbesondere auch dem Agrarbudget, das möglicherweise mit Kürzungen zu rechnen hat, dann ist der Pakt, ob geheim oder nicht, perfekt und hat Vorrang auch vor Wählerinteressen (etwa den Interessen der bäuerlichen Wähler der Kärntner FPÖ). Der Wahrheitsbeweis der „Spiegel“-Story ist entbehrlich.

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