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Viel mehr organisierte Verbrechen

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Noch lebt man sicher in Österreich, Gefahr droht jedoch vom organisierten Verbrechen: Gespräch mit dem Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit.

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Noch lebt man sicher in Österreich, Gefahr droht jedoch vom organisierten Verbrechen: Gespräch mit dem Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit.

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DIEFURCHE: Wie würden Sie Österreichs Situation auf dem Gebiet der Kriminalität kennzeichnen?

MICHAEL SIKA: Wir stellen keine dramatische Steigerung fest. Es gibt aber eine Tendenz in Richtung organisierte Kriminalität: Sie ist internationaler geworden. Das bedarf einer gewissen Organisationsstruktur.

DIEFURCHE: Wie funktioniert das? Sl KA: Die Organisation befaßt sich mit dem Auskundschaften der Möglichkeiten, der Durchführung der kriminellen Handlung, mit dem Absatz, mit der Geldwäsche, die unweigerlich folgen muß...

DIEFURCHE: Gibt es da internationale Kooperation von Verbrechern oder wird von einem Land aus länderübergreifend agiert?

Sl KA: Beides geschieht. Nehmen wir ein Beispiel: Ein teurer Pkw wird in Spanien gestohlen, um auf geeigneten Absatzmärkten verkauft zu werden. Da müssen Leute Absatzmärkte erkunden. Was bietet sich da an? Eventuell ein Land des ehemaligen Ostblocks. Nun muß dieser Wagen etwa in die Ukraine gebracht werden. Da braucht es jemanden, der das Know-how hat, wie man so ein Auto stiehlt, jemanden, der das Fahrzeug über die Grenze bringt - und zwar mit geeigneten Papieren. Auch sie muß jemand machen. Dann muß man jemanden anheuern, der das Fahrzeug zum Bestimmungsort befördert (oft tut das jemand, der gar nicht weiß, daß das Fahrzeug gestohlen ist). Und dort muß jemand das Auto verkaufen. Der Erlös wandert in einen Topf und das Geld muß gewaschen werden. Da gibt es viele, teilweise von Spezialisten ausgeführte Arbeitsgänge. Da braucht man eine Organisation, die sich aus Leuten verschiedener Nationalität zusammensetzt.

DIEFURCHE: Erschwert das die Arbeit der Exekutive?

Sl KA: Ja, das macht die Sache für uns kompliziert. Wie soll man so einen Deal ganz aufklären, wenn einige der Beteiligten in der Ukraine, andere in Ungarn, in Spanien, wahrscheinlich auch in Frankreich sitzen?

DIEFURCHE: Seit wann gibt es diese Entwicklung zur Professionalität Sl KA: Das hängt stark mit dem Jahr 1989, dem Fall des Eisernen Vorhanges zusammen. Seither ist die Freizügigkeit im internationalen Verkehr enorm gestiegen.

DIEFURCHE: Welches sind die Tätigkeitsbereiche der organisierten Kriminalität Sl KA: Sie wirkt überall, wo es einen Profit gibt, sie ist ja nichts anderes als konventionelle Kriminalität - aber fabriksmäßig betrieben. Auch Ladendiebstahl kann organisiert betrieben werden. Da kommen ausländische Banden über die Grenze: Frauen gehen mit einem Mantel ins Geschäft und mit dreien wieder heraus, Kinder werden eingesetzt, die gestohlenen Waren gemeinsam abgesetzt. Ebenso organisiert kann der Diebstahl von Antiquitäten, der Einbruch in Villen- oder Wohnungen stattfmden — oder in Autos: Da sind die Täter in erster Linie auf Ausweise aus. Was sie so nebenbei erbeuten, das gehört ihnen. Die Ausweise liefern sie ab — etwa in eine Zentrale in Mailand. Mailand ist ein großer Umschlagplatz. Dort sitzten Leute, die die Ausweise verwerten. Für jeden amtlichen Ausweis gibt es übrigens eine Verwertung.

Noch ein Beispiel: Der Taschendiebstahl. Da werden etwa Banden aus Chile eingeführt und in Europa von Stadt zu Stadt gekarrt. Sie grasen alle Plätze ab, wo sich viel tut: Fußballstadien, öffentliche Verkehrsmittel, Einkaufszentren... Wir haben vor Jahren einige erwischt, die wußten gar nicht, in welcher Stadt sie sind.

DIEFURCHE: Sind viele Österreicher beteiligt Sl KA: Jedenfalls nicht mehr, als unserer Bevölkerung anteilsmäßig entspricht. Wir sind eher ein Transitland, ein Land, in dem Absprachen stattfmden. Ausgeführt werden die Coups eher anderswo. Darüberhin- aus ist Österreich ein Land, in dem Geld angelegt wird.

DIEFURCHE: Welche Herausforderung stellt das für die Exekutive dar? Sl KA: Eine große. Die Schwierigkeit ist allerdings, daß diese Art der Kriminalität vom Bürger kaum wahrgenommen wird. Für den Bürger ist der Wachebeamte wichtig, der seine Runden dreht. Er schreckt den einen oder anderen konventionellen Verbrecher ab. Die organisierte Kriminalität aber spielt sich vor allem im Wirtschaftsbereich ab. Da ist aber der Wachebeamte kein Gegenmittel. Es ist schwierig, der Bevölkerung klarzumachen, daß Sicherheit nicht nur bedeutet, unbehelligt um ein Uhr nachts durch den Burggarten gehen zu können und die Wohnung (die übrigens hierzulande viel zu wenig gesichert ist) nach dem Urlaub heil anzutreffen. Das ist zwar wichtig, aber heute ist auch eine andere Form von Sicherung notwendig.

DIEFURCHE: Was ist zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschehen3

Sl KA: Wir haben Sondereinheiten aufgebaut, zentrale im Innenministerium, aber auch korrespondierend in den einzelnen Bundesländern. Die Zusammenarbeit funktioniert S;anz gut. Da kommt man mit den andläufigen Mitteln nicht wirklich weiter. Daher haben wir eine Verbesserung des rechtlichen Instrumentariums gefordert. Die Telefonüberwachung ist schon ein alter Hut. Es geht um die Überwachung mit elektronischen Mitteln, die verdeckte Fahndung (da gehen Beamte in die Szene hinein)... Wir hoffen, daß sich da in der nächsten Legislaturperiode neue Möglichkeiten ergeben.

DIEFURCHE: Vielen macht das Sorgen...

Sl KA: Den normalen Staatsbürger mag es beunruhigen, wenn er von diesen Möglichkeiten hört. Aber man kann organisierte Kriminalitätnicht anders bekämpfen. Ein Beispiel: Wir erfahren, daß sich in Wien Exponenten der italienischen und russischen Mafia treffen (ich verwende dieses Kürzel, verweise aber darauf, daß es eine russische Mafia nicht in dieser Form gibt). Wir wissen, wer wann kommen wird, observieren die Leute, begleiten sie bis zu einem Hotel, wo sie einen Besprechungsraum gemietet haben. Sollen wir uns damit begnügen, einen Reisebericht zu schreiben? Was bringt das, wenn wir nicht erheben dürfen, was gesprochen wurde, obwohl wir wußten, daß es um kriminelle Handlungen geht? Selbstverständlich müßte eine solche Vorgangsweise rechtlich gut abgesichert sein...

DIEFURCHE: In welcher Form?

Sl KA: Durch Zusammenwirken von Exekutive und Gericht. Man könnte etwa die Ratskammer bemühen. Nur müßte sie schnell reagieren. Man kann nicht drei Tage warten. Schließlich muß die Exekutive sich auch vorbereiten, obwohl das mit heutigen Mitteln schon relativ rasch geht. Man könnte beispielsweise unser Gespräch von einem Auto aus, das vor dem Haus steht, abhören.

DIEFURCHE: Das erfordert aber eine besondere Integrität der Beamten, nicht wahr...?

Sl KA: Ja. Aber man muß bedenken, daß man einen effizienten Gegner mit effizienten Mitteln bekämpfen muß. Sonst hat man keine Chance.

DIEFURCHE: Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit der Exekutive?

Sl KA: Sie wird ausgebaut. Innerhalb der EU gibt es Bemühungen zu einer Institutionalisierung dieser Zusammenarbeit (Stichwort: Europol). Die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern funktioniert zum Teil recht gut, geschieht meist ad hoc, ist aber dann schwierig, wenn innerhalb kurzer Zeit (wie in Slowenien oder in der Slowakei) die Verantwortlichen wechseln.

DIEFURCHE: Ist Österreich sicherer als andere Länder?

Sl KA: Ich könnte mir es jetzt leicht machen und sagen: Weil unsere Exekutive eben so gut ist. Und sie arbeitet wirklich gut. Aber es gibt da auch folgendes Phänomen: Bei uns florieren Extreme nicht. Alle Entwicklungen haben wir üur am Rande mitgemacht. Die Dinge kommen mit Verspätung und abgeschwächtzu uns. Prag und Budapest sind mittlerweile fest in der Hand des organisierten Verbrechens, Wien jedoch nicht, obwohl es auch hier Versuche gibt. Wieso? Weil bei uns der Boden nicht so günstig ist. Unser Beamtentum hat noch einen hohen moralischen Standard. Einen österreichischen Beamten kann man nicht leicht bestechen. Nicht verhehlen möchte ich aber, daß ich die Entwicklung der Suchtgiftkriminalität in Österreich mit Besorgnis betrachte. Aber auch in dieser Hinsicht sind wir weit hinter anderen Ländern.

DIEFURCHE: Wie steht es mit der Kriminalität von Gastarbeitern?

Sl KA: Gastarbeiter sind keineswegs stärker kriminell als österreichische Bürger. Die Kriminalitätsrate liegt bei ihnen sogar etwas unter dem Durchschnitt.

DIEFURCHE: Fördert der Fremdenverkehr die Kriminalität3

Sl KA: Fraglos: Auf diesem Wege kommen zwielichtige Figuren ins Land. Andererseits sind Fremdenverkehrsgebiete Orte, an denen Kriminelle relativ leichtes Spiel haben.

DIEFURCHE: Zeigt die Jugendkriminalität auffallende Merkmale?

Sl KA: Nein, jedenfalls nicht in Österreich. Das hat auch mit der schon erwähnten österreichischen Abneigung gegen Extremes zu tun. Außerdem hat sich der Umgang mit jugendlichen Tätern durch Bewährungshilfe und Wiedergutmachung bewährt. Sorgen bereitet, wie gesagt, die steigende Suchtgiftkriminalität. Hier sehe ich einen Zusammenhang mit dem Versagen der Familien. Da gibt es Fälle, wo Eltern erst drei Jahre, nachdem ihr Spröß- ling Drogen nimmt, draufkommen, was mit ihrem Kind los ist. Da frage ich mich schon, wie es um die Kommunikation in den Familien bestellt ist. Reden die überhaupt miteinander? Wer Drogen nimmt, an dem geht das nicht spurlos vorüber, auch bei Haschisch. Zwar sagt man uns, dieses sei nicht gefährlicher als Alkohol und nicht zu vergleichen mit harten Drogen. Das stimmt. Aber das ist kein Argument dafür, es frei- zugeben. Denn Haschisch verändert den Charakter. Wer hascht, neigt nämlich dazu, immer träger und passiver zu werden. Eine Liberalisierung halte ich daher für vollkommen falsch.

Das Gesprächführte Christof Gaspari

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