"Das Bestehende hat Vorrang"

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Alexander Gauland, deutscher Publizist und Autor des Buches "Anleitung zum Konservativsein", über das Spannungsverhältnis zwischen Bürgertum und Globalisierung, tradierten Werten und Liberalisierung, Hofmannsthal und Craig Venter. - Nicht bei dem, der an Bestehendem festhält, liegt die Beweislast, meint Gauland, sondern bei dem, der verändern will.

Die Furche: Wer ist in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in Österreich und Deutschland um die Zukunft des Sozialstaats auf der "konservativen" Seite - die Gewerkschaft oder die Regierung?

Alexander Gauland: Das ist eine ganz schwierige Frage... Wenn ich hier zögere, dann deswegen, weil ich die Veränderung des gesellschaftlichen Gleichgewichts schon für ein großes Problem halte. Und wenn Sie so manche Aussage von Unternehmer-Seite hernehmen, dann können Sie verstehen, dass die Gewerkschaften das Gefühl haben, das ganze System soll komplett geändert werden. Wenn man sagt, es muss sich manches ändern, damit alles so bleibt, wie es ist, bin ich einverstanden.

Die Furche: Im Prinzip geht es ja um einen Richtungsstreit - über die künftige Rolle des Staates, über das zumutbare Ausmaß der Eigenverantwortung, darüber, wie weit liberalisiert und dereguliert werden soll...

Gauland: Ich meine, bestimmte Dinge ergeben sich leider zwangsläufig - aus der Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Begeisterung, mit der manches verändert wird, die passt mir freilich nicht; vieles wurde ja seinerzeit aus gutem Grund eingeführt. Ich nehme einmal als Beispiel die Ladenschlusszeiten: Wenn der Laden von Früh bis Abend offen sein soll, dann leiden natürlich andere Dinge: Familie, Ehe. Allgemein gesagt: Man muss sehen, dass durch die Anpassung an sogenannte ökonomische Notwendigkeiten konservative Werte gefährdet sind, möglicherweise auch verloren gehen.

Die Furche: Jan Roß hat bereits vor fünf Jahren in einem Leitartikel in der "Zeit" unter dem Titel "Was ist konservativ?" geschrieben, die Marktwirtschaft sei nicht mehr bürgerlich. Würden Sie diesem Befund zustimmen?

Gauland: Ich würde zustimmen, dass die globalisierte Marktwirtschaft nicht mehr im alten Sinne bürgerlich ist. Dass es sich zum Teil um wurzellose Eliten handelt, die weltweit agieren, und die eine Verpflichtung für bestimmte Dinge von ihrer Herkunft her gar nicht übernehmen können: weder für die Kultur, noch für die Nation, die Heimat. Diese internationalen Eliten setzen in einer Weise auf das Rein-Ökonomische, wie es das zu Zeiten, als die Marktwirtschaft noch enger mit einem nationalen Bürgertum verbunden war, nicht gab.

Die Furche: Das Leitmotiv, das die ganze Diskussion um den Wohlfahrtsstaat bestimmt, lautet ja "mehr Eigenverantwortung". Ist das nicht eine klassische konservative, bürgerliche Tugend? Dass der Einzelne im größtmöglichen Maß Verantwortung für sein Leben übernimmt, demnach auch für die Folgen seines Tuns einzustehen hat - und die Solidargemeinschaft nur dort einspringt, wo es wirklich Bedürftigkeit gibt?

Gauland: Das ist bestimmt im Prinzip richtig, konkret wird die Frage erst in der Abgrenzung. Nehmen Sie das Beispiel der berühmten Ich-AG: Wenn es wirklich keine Arbeit gibt - und in manchen Bereichen Deutschlands gibt es keine Arbeit -, dann hat die Rede von der Ich-AG schon etwas Zynisches an sich.

Die Furche: Sie kritisieren in Ihrem Buch (s. linksstehenden Text) - unter Anspielung auf das FAZ-Feuilleton -, dass es heute wichtiger sei, Craig Venter (US-Genomforscher; Anm.) zu kennen als Hugo von Hofmannsthal. Könnte es aber nicht sein, dass es für die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen tatsächlich wichtiger ist, sich mit den brennenden bioethischen Streitfragen auseinanderzusetzen, als mit literarischen Figuren des 19. Jahrhunderts?

Gauland: Die Relevanz der Bioethik wird niemand bestreiten, die Frage ist nur, ob man so in das Gegenteil verfallen soll, wie wir das getan haben. Die Auseinandersetzungen um die Achtundsechziger, der Historikerstreit - das waren noch geisteswissenschaftliche Diskussionen. Was mich bedrückt, ist, dass solche Themen, Fragen nach den kulturellen und historischen Wurzeln, völlig in den Hintergrund getreten sind.

Die Furche: Wobei die Bioethik-Debatte ja maßgeblich von Philosophen wie Habermas oder Spaemann geprägt wurde...

Gauland: Die bioethische Diskussion changiert zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft - insofern ist sie vielleicht nicht das beste Beispiel. Aber etwas anderes: Das historische Wissen, mit dem deutsche Kinder heute die Schule verlassen, ist deplorabel. Und ich habe die Sorge, dass das in dem Moment, da bestimmte Dinge in der Wirtschaft nicht mehr funktionieren, zum Tragen kommt. Wenn die Menschen nicht auf etwas Substanzielles zurückgreifen können, etwas, das jenseits des Ökonomischen liegt, dann kann ich mir nicht vorstellen, wie ein Volk, eine Nation oder Gemeinschaft in einer schweren Krise zusammengehalten werden soll. Das kann dann gar nicht funktionieren, weil das gemeinsame Bewusstsein für den Zusammenhalt fehlt. Das hängt mit einer Art von Bildungsindividualisierung zusammen, mit der ich ein großes Problem habe.

Die Furche: Sie haben den Begriff der Nation ins Spiel gebracht. Welche Rolle spielt der denn für ein konservatives Weltbild in Ihrem Sinne?

Gauland: Ich glaube schon, dass die Nation weiterhin eine Rolle spielt und dass der Konservative nicht ohne Not Nationales über Bord werfen sollte. Mir ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Überhöhung der Nation in dem Sinne, wie wir sie gerade in Deutschland erlebt haben, eigentlich nichts Konservatives ist, sondern eine Fehlentwicklung, die sich aus bestimmten Situationen im späten 19. Jahrhundert ergeben hat.

Die Furche: Wie würden Sie "konservativ" definieren?

Gauland: Grundsätzlich glaube ich, dass Veränderungen begründet werden müssen, nicht das Festhalten am Bestehenden. Bei uns ist - gerade vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise - die Tendenz eingerissen, Veränderungen per se einmal für gut zu halten, um dann zu sehen, was aus der Veränderung wird. Doch eigentlich sollte das Bestehende Vorrang haben und für Veränderungen Begründungspflicht bestehen.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

Wider das Tempo der Veränderung

Mehr Mut zu einem konservativen Profil, fordert Alexander Gauland, 1941 geboren, heute Herausgeber der Potsdamer "Märkischen Allgemeinen". Der Konservativismus sei, so Gauland, eine Lebensnotwendigkeit für eine gleichgewichtige, das Humane achtende gesellschaftliche Entwicklung. Dabei gehe es nicht um ein Hängen am Gestern, sondern ein Bewahren dessen, was bleibend gilt. "Haarsträubender Unsinn", konterte etwa Richard Herzinger in der "Zeit", während der "Rheinische Merkur" in Gaulands Thesen "geistigen Sprengstoff" ortete. Seine Überlegungen hat Gauland in dem schmalen Band "Anleitung zum Konservativsein" (DVA, Stuttgart - München 2002) zusammengefasst. Im Sinne einer Art Leitmotiv zitiert er dort zu Beginn und am Schluss den französischen Essayisten Philippe Garnier: "Stärker noch als die Ungerechtigkeit quält uns das Tempo der Veränderung." Die Politische Akademie der ÖVP lud Gauland kürzlich zum Auftakt einer Gesprächsreihe, die sich den "Neuen Konservativen" widmet und im Herbst fortgesetzt wird.

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