Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude. Und jemanden anderen an seinem Reichtum, sei es materiell oder auch nur geistig-seelisch, teilhaben zu lassen, bedeutet oft auch einen Gewinn für den Gebenden. Diese Erfahrung machen nicht nur sozial engagierte Menschen, so geht es zuweilen auch in der großen Weltpolitik zu. Wenn superreiche Männer wie etwa George Soros einen guten Teil ihres Vermögens für andere investieren, so profitieren sie meist auf irgendeine Weise selbst davon - im Fall von Soros ist es vor allem ein politisches Ziel, das er damit erreicht.
Auch die US-Amerikaner haben mit ihrem Wiederaufbau-Programm für 18 europäische Länder enorm wichtige humanitäre Hilfe geleistet. Und dennoch richtete sich das Unternehmen nicht nur gegen "Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos", wie US-Außenminister George Marshall 1947 betonte, sondern auch gegen das politische Feindbild Kommunismus. Gleichzeitig konnten die USA damit ihre gewaltige Überproduktion in Griff bekommen und den zerstörten Weltmarkt, besonders den europäischen, wiederaufbauen, also selbst wirtschaftlich profitieren.
Nun steht die Europäische Staatengemeinschaft vor einer ebenso großen Herausforderung: vor der Erweiterung um die Länder des ehemaligen Ostblocks. Es gibt berechtigte Sorgen, daß dieser Schritt, vor allem im Bereich der Landwirtschaft oder des Arbeitsmarktes, besonders starke Belastungen mit sich bringt. Daher sind entsprechend lange Übergangsfristen und eine gute Vorbereitung notwendig. Warum aber herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung ein so großes Unbehagen gegenüber einem noch größeren europäischen Zusammenschluß? Haben wir Sorgen, teilen zu müssen und damit unseren eigenen Wohlstand zu gefährden? Untersuchungen zeigen, daß solche Befürchtungen großteils überflüssig sind, daß - bei allen unbestrittenen Schwierigkeiten - der gesamte europäische Kontinent nicht nur wirtschaftlich von einer soliden Erweiterung profitieren wird. Mehr Weitherzigkeit und menschliche Courage sind daher ein Gebot der Stunde, nicht nur zu Weihnachten!
Die Autorin ist Pressereferentin in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs und Vizepräsidentin des Katholischen Familienverbandes Österreichs.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!