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Vor etlichen Jahren schrieb Milan Frühbauer eine Kolumne in der Presse unter dem Titel „Bürgerlicher Smalltalk“. Es handelte sich dabei um fingiertes Geraunze – das schwarze Pendant zum roten Gesudere (© A. Gusenbauer) – in den sogenannten bürgerlichen Salons über den Zustand der Politik im Allgemeinen und jenen der Volkspartei im Besonderen. Letztlich kreiste dieser „Smalltalk“ stets um die eine, zentrale Frage: Wofür steht die ÖVP eigentlich noch? Wer gelegentlich in alten Zeitungen geblättert hat, weiß, dass diese Frage – samt dem resignativen Unterton, in dem sie gestellt wird – gewissermaßen zur genetischen Grundausstattung der ÖVP gehört.

Nun aber kommt Josef Pröll und will das ändern. Eine „moderne konservative Volkspartei“ wünscht er sich, und nach der Aufwärmrunde des „Perspektivenprozesses“ soll nun ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet werden. „Wer braucht ein ÖVP-Programm?“, fragt Andreas Unterberger in seinem Online-Tagebuch ( www.andreas-unterberger.at) und empfiehlt der Partei ein paar internationale Experten von Rang einzuladen, statt bei Stammtischgesprächen zu versumpern. Das wäre in der Tat dringend notwendig, aber Pröll wird wohl wissen, dass es im Zuge einer umfassenden Programmdebatte unumgänglich ist, über den Tellerrand der Bünde, Verbände und Vereine hinauszuschauen. So wichtig die Basis der Partei und die Stammklientel sind, so sehr braucht es Durchlüftung und Blutauffrischung von außen, damit die Bürger- nicht zur Spießbürgergesellschaft (© H. Paierl) verkommt.

Inhaltliche Selbstvergewisserung

Ungeachtet dessen aber kann ein Prozess der inhaltlichen Selbstvergewisserung der ÖVP nur guttun. Der momentane Erfolgskurs spricht nicht dagegen: Gerade in solchen Phasen ist die Gefahr der programmatischen Ausdünnung groß. Wenn die Partei 2013 wieder den Kanzler stellen will (was ihr erst einmal gelingen muss), wird sie ein einigermaßen gesichertes Fundament brauchen. Auch in der Politik gilt: Eine performance, der kein realer Wert entspricht, gerät zur Blase, die irgendwann platzt. Dieses Fundament muss die ÖVP freilich nicht neu erfinden. Eher passt das Bild, das Pröll selbst wählte: Es geht darum, die Software zu aktualisieren, sie dem „neuen Betriebssystem“ der Welt anzupassen.

Am Krankenbett des Sozialismus

Die entscheidende Frage wird sein, ob es sich die Volkspartei zutraut, einen wirklichen Gegenentwurf zur Sozialdemokratie vorzulegen, oder ob sie es vorzieht – um ein beliebtes Bild umzukehren –, nur der Arzt am Krankenbett des Sozialismus zu sein. „Ja, aber“ versus „sed contra“ sozusagen. Die „Ja, aber“-Haltung ist gewiss die weniger anstrengende, sie hat nur den gravierenden Nachteil, dass die Leute dann gleich bei dem bleiben, der „Ja“ sagt. Der „Nachteil“ eines geschärften Profils läge für die VP ebenso auf der Hand: Sie sähe sich, je nach Themenfeld, dem Widerstand des Boulevards (Stichwort „kleine Leute“), der linken Intelligenzija (Gesellschaftspolitik) oder allenfalls einer Allianz beider (Wirtschafts- und Sozialpolitik) ausgesetzt. Aber, wie Peter M. Lingens gerne schreibt, wenn man ohnedies nicht weiß, ob man Erfolg hat, kann man gleich das Richtige tun.

Die entscheidenden ideologischen Trennlinien verlaufen im Spannungsfeld zwischen Freiheit, Gleichheit und Sicherheit. Vor Jahren schon hat Josef Joffe in der Zeit die Problematik auf den Punkt gebracht: „Es darf keine Verlierer des Wandels geben, also verliert der Wandel.“ Anders ausgedrückt: Nicht alles, was mehr Gleichheit und daher weniger „Verlierer“ verspricht, was also als „sozial gerecht“ gilt, ist das auch auf lange Sicht. Denn wenn niemand verliert (verlieren darf), verlieren alle. Gleichheit ist nur auf niedrigem Niveau zu haben – und droht dennoch, wie historisch eindrucksvoll belegt, in Unfreiheit zu kippen. Wer die Talente vergräbt, wird sie am Ende nicht bewahrt, sondern verloren haben.

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