Wer gestaltet Integration?

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Sprachkurse oder Länderkunde-Klassen: Was bringen Integrationsmaßnahmen? Lässt sich die Integration von Zuwanderern überhaupt durch politische Programme gestalten? Ines Michalowski, Politikwissenschafterin aus Berlin, beantwortet diese Frage mit einem verhaltenen "Vielleicht“ und zeigt Spannungsfelder der Integrationspolitik auf.

Integrationspolitik könnte so einfach sein. Gäbe es eine knappe Liste von Faktoren, die die Integration von Zuwanderern nachweislich erleichtern, könnte man gezielt Maßnahmen dafür implementieren - und der Rest erledigte sich von selbst. Aber leider gibt es diese Liste nicht, und Integrationspolitik bleibt damit genau so komplex wie das soziale Phänomen Integration selbst.

Das wirft die Frage auf, ob Integration von Zuwanderern überhaupt über Politik gestaltet werden kann. Sie muss mit einem verhaltenen "Vielleicht“ beantwortet werden.

Das Hauptproblem, mit dem Integrationspolitik konfrontiert ist, besteht darin, zu definieren, was überhaupt zu bearbeiten ist. Denn eigentlich könnten alle Fragen und Themen des alltäglichen sozialen Lebens als Integrationsfrage formuliert werden. Ob das sinnvoll ist, ist eine andere Frage.

Was kann und darf Integrationspolitik?

Wir können bei Integration sowohl über den Arbeitsmarkt als auch über Spracherwerb sprechen, über soziale Beziehungen, Kriminalität, Wohnen oder Gesundheit, über Bildung oder Religion und über Identifikation. Man kann davon ausgehen, dass es eine ganze Reihe von Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren gib.

Worin genau diese Wechselwirkungen bestehen, ist auch aus wissenschaftlicher Perspektive nicht eindeutig geklärt. Man kann zwar davon ausgehen, dass etwa die Sprache einen großen Einfluss auf eine ganze Reihe weiterer Bereiche hat, wie etwa die Arbeitsmarktintegration, die Identifikation, oder auch soziale Kontakte mit Einheimischen. Aber welche weiteren Faktoren tatsächlich im Zentrum stehen, darauf hat die Wissenschaft (noch) keine Antwort. Auch in den unterschiedlichen Monitoringsystemen, die politische Entscheidungsträger in den vergangenen Jahren entwickeln ließen, um die Integration von Zuwanderern zu messen, gibt es zwar weitgehende Überschneidungen, aber immer wieder auch unterschiedliche Akzentsetzungen.

Hier schließt die Frage an, wie breit der staatliche Handlungsbedarf definiert werden sollte. Dabei gilt es zunächst zu klären, was der Staat überhaupt "kann“: Auf das Bildungssystem wird er leichter Einfluss nehmen können als auf die Identifikation von Zuwanderern mit dem Aufnahmeland. Des Weiteren wird diskutiert, was eine liberale Demokratie eigentlich "darf“. Wie weit darf ein Staat mit seiner Steuerung ins Privatleben eingreifen? Ein Blick auf die Einbürgerungstests in Österreich, Deutschland, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und den USA legt nahe, dass es einen weitgehenden Konsens darüber gibt, von Zuwanderern keine Anpassung in kulturellen und religiösen Fragen zu fordern.

Eine Kernfrage von Integrationspolitik bleibt, was eigentlich als Integrationsproblem definiert werden kann. Staatsministerin Maria Böhmer, die deutsche Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, lässt für den Integrationsindikatorenbericht Statistiken zur Zahnputzfrequenz von Kindern mit Migrationshintergrund erheben. Ob hier spezielle integrationspolitische Maßnahmen für Zuwandererkinder ansetzen sollten, ist fraglich. Ähnliche Diskussionen werden im Bildungsbereich geführt: Ist die Situation bestimmter Kinder darauf zurückzuführen, dass ihre Eltern oder sogar Großeltern eingewandert sind? Oder handelt es sich eher um eine schichtspezifische Frage und damit um eine allgemeine Aufgabe für das Bildungssystem?

Unterschiede im europäischen Vergleich

Im Hinblick auf die Integrationspolitik der Länder Westeuropas gibt es zwei Annahmen: Erstens wird gerne behauptet, dass sich die Länder in ihrer Praxis der Integrationspolitik in den letzten Jahren ähnlicher geworden sind. Zweitens, dass sie in der Vergabe von Rechten an Zuwanderer liberaler geworden sind. Demgegenüber stehen Theorien, die besagen, dass Staaten weitgehend in ihren eigenen nationalen Gelegenheitsstrukturen zur Formulierung von Rechten verbleiben und sich demzufolge auch nicht zwingend einander annähern. In einem Forschungsprojekt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung haben meine Kollegen Ruud Koopmans, Stine Waibel und ich beide Thesen untersucht.

Es wurden zwei Dimensionen der Vergabe von Rechten an Zuwanderer betrachtet: Wie steht es um Individualrechte, die an den einzelnen Zuwanderer vergeben werden und etwa bestimmen, wie leicht oder schwer es ist, Mitglied eines Staates zu werden? Und: Verhalten sich die Staaten kulturellem Pluralismus gegenüber wohlwollend oder skeptisch?

Einige Länder wie Belgien, Schweden, das Vereinigte Königreich oder Deutschland haben zwischen 1980 und 2008 tatsächlich eine Liberalisierung erfahren. Andere Länder haben Rechte von Zuwandern hingegen eingeschränkt. Dazu gehört auch Österreich, das in diesem 10-Länder-Vergleich bei der Vergabe von Individualrechten am restriktivsten abschneidet. Bei Fragen nach dem Umgang mit kulturellem und religiösen Pluralismus, befindet sich Österreich im Mittelfeld.

Im europäischen Gesamtbild hat es in den letzten drei Jahrzehnten tatsächlich eine Liberalisierung hin zu mehr Individualrechten und Anerkennung von kultruellem Pluralismus gegeben. Eine Konvergez konnte aber nicht festgestellt werden. Die Differenz ist seit 1980 sogar gestiegen.

In einem zweiten Schritt haben wir eine Reihe von Erklärungsmechanismen für diese Entwicklung untersucht. Zwar konnte kein Zusammenhang zwischen linken Regierungen und der Liberalisierung festgestellt werden, was die Annahme bestätigt, dass gerade linke Regierung im Hinblick auf die Rechte von Zuwanderern blockiert sind, weil sie nicht so liberal erscheinen möchten, wie man es von ihnen erwartet. Konservative Regierungen haben hier unter Umständen mehr Handlungsspielraum.

Einen erkennbaren Einfluss darauf, ob sich die Integrationspolitik in einem Land eher konservativ oder liberal entwickelt hat, haben aber populistische Parteien: Je höher deren Stimmenanteil bei Wahlen, desto mehr Restriktionen gibt es bei den Rechten von Zuwanderern. Andereseits hat ein höherer Anteil von Wählern mit Migrationshintergrund eine liberalisierende Wirkung.

Enttäuschte Hoffnung bei Maßnahmen

Unsere Studie hat gezeigt, dass das Thema national entschieden wird und die Länder große Unterschiede aufweisen. Von Konvergenz kann keine Rede sein. Dennoch haben eine Reihe europäischer Länder große Hoffnungen in Integrationsmaßnahmen für Neuzuwanderer gelegt. Sprachkurse und Informationen über Geschichte, Politik und kulturelle Gepflogenheiten - in Österreich seit 2003 als Integrationsvereinbarung bekannt - sollten direkt nach der Einreise die Integration insbesondere am Arbeitsmarkt erleichtern. Zumindest in Deutschland und den Niederlanden haben jedoch Evaluationen gezeigt, dass diese Erwartungen viel zu hoch waren. Nicht der eigentlichen Zielgruppe eher gering qualifizierter Familienmigranten, sondern von Beginn an besser qualifizierten Kursteilnehmern gelang es, die anspruchsvollen Sprachziele zu erreichen. So haben sich Deutschland und die Niederlande einer stärkeren Selbstselektion hochmotivierter Einwanderungskandidaten verschrieben, indem sie das erfolgreiche Bestehen eines Sprachtests noch im Herkunftsland als Bedingung für die Einreise als Familienmigrant festgesetzt haben.

Feststeht damit: Integrationspolitk kann politisch gestaltet werden. Ob die politischen Maßnahmen die Integration von Zuwanderern dann aber tatsächlich beeinflussen können, das ist nicht immer sicher.

* Die Autorin ist Politikwissenschafterin und forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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