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In vielen Unternehmen hat ein Umdenken eingesetzt: Sie fördern Vielfalt im Betrieb. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene fehlt ein umfassendes Verständnis für die Bedeutsamkeit von Diversität.

Unsere Gesellschaft ist gekennzeichnet von einem hohen Ausmaß an Heterogenität und Differenz. Das ist nicht neu, und dennoch erleben wir eine zunehmende Beschäftigung mit dieser "Diversität“. Diversität wird dabei allerdings meistens nicht so verstanden, dass sich jeder als Teil der Gesellschaft durch verschiedene Merkmale von anderen unterscheidet, jeder eine Geschlechtsidentität, eine ethnische Zugehörigkeit, ein bestimmtes Alter, eine sexuelle Orientierung hat und einer Religion angehört oder auch nicht. In der rechtlichen/politischen ebenso wie in der medialen Auseinandersetzung bezeichnet Diversität immer nur die Differenz von der Norm - auch wenn die Norm als solche nicht klar ausdifferenziert ist.

Diese Sichtweise führt zu einer Auseinandersetzung mit Unterschieden, die tendenziell problemorientiert ist und darüber hinaus sehr davon abhängt, worin das "Anders sein“ besteht. Divers ist in Österreich die kopftuchtragende Frau, der türkische Kebabverkäufer, sind die Kinder in den Schulen, deren Muttersprache nicht deutsch ist.

Die Alltäglichkeit von Diversität

Dabei würde es helfen, über die klassischen Kategorien hinauszublicken, um zu verstehen worum es geht. Auch ein Polizist in einer Gruppe von lauter NGO-AktivistInnen, eine Rechtsanwältin unter Bauarbeitern oder ein Wiener in Tirol, werden jeweils als Individuen wahrgenommen, die von der erwarteten Norm abweichen - und sie werden auch oft so behandelt, dass sie das zu spüren bekommen. Ein Bewusstsein zu schaffen für diese Alltäglichkeit von Diversität und die Tatsache, dass sie uns alle immer wieder betrifft, kann den Blickwinkel für eine Auseinandersetzung mit Diversität und ihren Herausforderungen für die Gesamtgesellschaft verändern und zu einem Zugang zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten führen.

Derzeit verharrt der politische Diskurs in einer reaktiven Grundhaltung. Probleme, die aus strukturellen Diskriminierungsmechanismen resultieren, werden zwar zunehmend erkannt und es werden Strategien entwickelt und umgesetzt, um dagegen anzukämpfen, aber es fehlt eine pro-aktive Haltung, die Diversität auch als Chance und als Ansatzpunkt für gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse begreift.

Zentrale Themen der Politikgestaltung sind derzeit die Fragen, wie die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen verringert werden kann, wie die Teilnahme am Erwerbsleben für Frauen durch mehr Kinderbetreuungseinrichtungen gesteigert werden kann. Rechtliche Steuerungsmechanismen sollen zumindest am Arbeitsmarkt für Chancengleichheit sorgen.

Gesellschaftliche Barrieren für MigrantInnen hingegen werden noch relativ wenig wahrgenommen, hier dominiert nach wie vor eine Sichtweise, die Quellen von weniger Verdienst, geringerer Beschäftigungsrate, schlechteren Gesundheitsdaten und geringerer politischer Partizipation im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nicht als Ergebnis struktureller Diskriminierungsmechanismen wahrzunehmen, sondern als Resultat eines mangelnden Willens zur Assimilation.

Auch die Tatsache, dass wir im Laufe unser aller Leben unterschiedliche Altersphasen durchleben, wird eher eindimensional thematisiert. Unsere Wirtschaft ist auf Personen ausgerichtet, die im Erwerbsleben stehen und zwischen 25 und 55 Jahre alt sind. Ein Umdenken hin zu einer alternsgerechten Arbeitswelt wird aber unumgänglich sein - und das bedeutet mehr als Unternehmen zu verpflichten Menschen in Beschäftigung zu halten, es bedeutet die Entwicklung von Strategien, die mehr Dynamik in Berufsbilder bringen, ein Abgehen von linearen Erwerbskarrieren hin zu horizontalen Karriereoptionen. Es bedeutet aber auch, sich um junge Menschen zu kümmern, von denen sich die einen trotz guter Ausbildungen von einem unbezahlten Praktikum zum nächsten hanteln und die anderen schon beim Zugang zum Bildungssystem mit Hürden konfrontiert sind.

Gesamtstrategie für den Umgang mit Vielfalt

In vielen Unternehmen hat mittlerweile ein Umdenken eingesetzt. Sie haben erkannt, dass das Angebot an hoch qualifizierten Menschen am Bewerbermarkt gar nicht so groß ist, wenn Rekrutierungsstrategien nicht überdacht und vielen Menschen schon allein aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Muttersprache, ihres Alters oder aufgrund einer Behinderung nicht in Betracht gezogen werden. Es gibt viele erfolgversprechende Initiativen wie Mentoringprogramme, Unterstützung bei der Einstellung von Menschen mit Behinderungen, Sprachförderungen, die Berücksichtigung von religiösen Vorgaben im Menüplan von Betriebskantinen, die Anerkennung gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften bei betrieblichen Sonderleistungen, Betriebskindergärten etc.

Was darüber hinaus aber dringend notwendig wäre, ist ein umfassenderes Verständnis für die Bedeutsamkeit von Diversität und damit verknüpfte Herausforderungen zum Thema zu machen in der Politik und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Nur ein chancengerechtes Bildungssystem, das allen jungen Menschen unabhängig von der ethnischen und sozialen Herkunft ihrer Eltern Wissen und Kompetenzen vermitteln kann, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, sorgt auch für gleiche Startpositionen am Arbeitsmarkt. Bildung und Erwerbsoptionen sind es in weiterer Folge auch, die Zugangsmöglichkeiten zu adäquatem Wohnraum, zu Gesundheitsdienstleistungen aber auch zu politischer Gestaltungsmacht maßgeblich beeinflussen.

Je mehr daher an den Ursachen gesellschaftlicher Benachteiligungsmechanismen angesetzt wird, desto eher können diese außer Kraft gesetzt werden und desto weniger Kosten verursachen sie für eine Sozialwirtschaft. Dazu braucht es eine aktive Chancengleichheitspolitik, die Diversität erkennt, mögliche damit verbundenen Barrieren identifiziert und dann aktive Handlungsstrategien entwirft.

Wichtig wäre es, bei einem Hinsehen auf und Anerkennen von Unterschieden anzusetzen, einem Wahrnehmen von Barrieren für bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund bestimmter Eigenschaften oder Gruppenzugehörigkeiten und daran gesamtgesellschaftliche Strategien anzuknüpfen. Diese sollten darauf abzielen, eine chancengerechte Verteilung von Ressourcen, Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, Gesundheits- und Sozialdienstleistungen und politischen Partizipationsmöglichkeiten zu erreichen. Dafür können auch konkrete politische Maßnahmen für einzelne Gruppen notwendig sein. Diese dürfen aber nie in singulären Spezialbehandlungen bestehen, sondern müssen ebenfalls Teil einer Gesamtstrategie sein.

* Die Autorin ist Diversity-Expertin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und Obfrau von ZARA.

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