An der Wirklichkeit vorbei

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Die Furche-Herausgeber

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Mehr und mehr vermute ich, dass sich viele unserer politischen Ratlosigkeiten aus der gedankenlosen Weiterverwendung längst überholter Begriffe erklären.

Brisantes Beispiel: Der so strapazierte Konflikt zwischen "dem Westen" und "dem Islam". Wahr ist: "Den Westen" gibt es nicht mehr - er hat mit dem Ende des Ost-West-Konflikts seine alten Begrenzungen verloren. Eine westlich geprägte Globalisierung überzieht heute nahezu den gesamten Erdball (was immer das an kulturellen Widersprüchen provoziert).

Auch der Begriff "Islamische Welt" geht an den konkreten Lebenswirklichkeiten vieler Völker zwischen Atlantik und Indonesien vorbei. Er verstärkt nur unsere Neigung zu einfachen Welterklärungen - und unsere latenten Ängste und Feindbilder. Allen voran die von einer "islamischen Gefahr".

"Christen" versus "Muslime"?

Auch der oft zitierte Gegensatz von "Christen" und "Muslimen" sagt letztlich nichts Vernünftiges aus. Auch in Österreich sind praktizierende Christen nur eine Minderheit unter den Nicht-Muslimen - und Hunderttausende Zuwanderer aus islamischen Ländern haben noch nie eine Moschee von innen gesehen. Es ist auch ein schwerer Irrtum, all jene, die sich selbst vor allem als Türken, Bosnier, Ägypter und/oder als Österreicher fühlen, der Einfachheit halber zunächst religiös als "Muslime" wahrzunehmen.

Unsere Unfähigkeit zur Präzisierung der Realität ist mir dieser Tage wieder deutlich geworden. Die Innenministerin hatte einen kleinen Kreis von "Islam-Experten" zu sich geladen. Thema: Na klar - die "Integration". In mehr als fünf Stunden eines bemühten Zusammenseins bin ich den Verdacht nicht losgeworden, die Runde hätte zunächst den bis zur Unkenntlichkeit zerstampften "Integrations"-Begriff klären sollen.

Was meinen wir wirklich damit - und was die Betroffenen? Ist der "integriert", der unsere Gesetze achtet und unsere plurale, säkulare Gesellschaft respektiert - bei Wahrung seiner eigenen Kultur und Religion? Oder erwarten wir von Zuwanderern eigentlich die totale Anpassung an unsere Lebensform - unter Preisgabe ihrer eigenen? Woran messen wir "das Österreichische" - und wie "das Fremde"? Und warum ist uns das frühere Vertrauen in jene natürliche Integration, die sich mit einem Zeitbedarf von zwei, drei Generationen ohnehin einstellt, so verloren gegangen?

Angebot zur Namenseindeutschung

Vor allem aber: Wann laufen Migranten bei uns Gefahr, als "nicht integriert", ja als "nicht integrierbar" zu gelten? Geht es um Sprachdefizite? Um kulturelle Distanz? Um soziale Isolation? Um allzu strikte religiöse Praxis?

Fragen über Fragen, die uns überfordern - den Bürger, aber offenbar auch den Staat. Ein aktuelles Beispiel vermuteter "Hilfe zur Integration": Als eine junge Frau aus Südeuropa nach langem Warten endlich ihre rotweißrote Staatsbürgerschaft erhielt, meldete sich noch am selben Tag die Behörde mit einem "Sonderangebot": Um bescheidene 28 Euro könne sie ihren Namen eindeutschen lassen, um es künftig in Österreich ein wenig leichter zu haben ?

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