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Angewidert vom Westen

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Am 2. Februar wollen Benazir Bhutto und Tansu Ciller in Sarajewo gegen Gleichgültigkeit demonstrieren.

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Am 2. Februar wollen Benazir Bhutto und Tansu Ciller in Sarajewo gegen Gleichgültigkeit demonstrieren.

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Bhutto, Ministerpräsiden - tin von Pakistan und Ciller, Ministerpräsidentin der Türkei, wollen in der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas gegen die Gewissenlosigkeit einer von Feiglingen und Zynikern regierten Welt demonstrieren. Ursprünglich sollte Englands Margret Thatcher Dritte im Bunde sein; aber die „Eiserne Lady“ fühlt sich offensichtlich diesem riskanten Abenteuer nicht mehr gewachsen.

Dritte in der Frauenrunde ist nun Sadžida Silajdžič, Schwester des bosnischen Ministerpräsidenten Haris, Sarajewos Botschafterin in Islamabad, vormals in Ankara. Damit könnte der Eindruck entstehen, es handle sich um eine Art islamische Front - aber das wollen die prominenten Damen gerne vermeiden, sind sie doch alle drei laizistisch eingestellt.

Der Gedanke zu diesem politischen „Ausflug“ kam während eines Besuchs Bhuttos bei ihrer Amtskolegin Ciller. Beide Premierministerinnen tragen damit einer explosiven Stimmung unter der Bevölkerung Pakistans und der Türkei Rechnung. In beiden Staaten drängen die Menschen ihre Regierungen zur Aktion in Bosnien. Doch weder die Türkei noch Pakistan sind in der Lage, militärisch gegen Serbien vorzugehn, da dies zu einem Krieg mit Griechenland und Rußland führen könnte.

Den Regierungschefinnen geht es deshalb vornehmlich dämm, den NATO-Staaten den Ernst der Lage nahezubringen. Bosnien läßt sich nicht abschreiben, so sehr man auch in London und Paris, Ottawa und Bonn das wünscht.

Anläßlich des Staatsbesuchs der beiden Regierungschefs in der bosnischen Hauptstadt wird es zur Unterzeichnung einer Reihe bilateraler Abkommen zwischen Bosnien und der Türkei sowie Bosnien und Pakistan kommen, womit unterstrichen werden soll, daß der bosnische Staat eine Realität und das von Europa verratene Sarajewo nicht ohne

Freunde ist. Die Demonstration der Solidarität mit den Opfern der serbischen Aggression beruht nicht nur auf wahltaktischen Erwägungen, sondern entspringt auch den persönlichen Empfindungen der beiden Premierministerinnen, die von dem hinhaltenden Theaterspiel der Staatsmänner Europas und Amerikas angewidert sind.

Gewiß sind die Türkei und Pakistan auf Wirtschaftshilfe der Industriestaaten angewiesen, doch bestehen Abhängig

keiten auch umgekehrt. Speziell für Großbritannien könnte es ein böses Erwachen geben. Bisher ist noch von keinem moslemischen Staat Druck ausgeübt worden. Mit ihrem Besuch soll gegen die pro-serbische Politik des John Major sowie gegen die Achse Bonn-Zagreb protestiert werden.

Darüber hinaus wollen Bhutto und Ciller endlich einmal unter Beweis stellen, daß von Frauen betriebene Politik tatsächlich humaner ist -

nicht im Sinne eines perversen Pazifismus, der nach der grauenhaften Vergewaltigung von mehr als 30.000 Frauen und Kindern immer noch das Recht auf Selbstverteidigung verweigert, sondern gerade im Bestehen darauf, daß die Vergewaltigungen kein geringeres Verbrechen sind als das Abschlachten von 30.000 männlichen Gefangenen.

Allerdings handelt es sich nur um einen dreistündigen Abstecher in die bosnische Hauptstadt; und es ist nicht si

eher, ob das Unternehmen gelingt. Der selbstmörderische Kurs des großserbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und seines siegestrunkenen Generals Ratko Mladic verheißt nichts Gutes. Vielmehr ist in den nächsten Wochen mit dramatischen Entwicklungen um Sarajewo zu rechnen.

Verläuft alles nach Plan, dann fällt die Hauptstadt noch vor dem 4. April, dem zweiten Jahrestag des serbischen Angriffes auf Bosnien.

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