7106567-1995_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Staat braucht eher Reformen als die Kirche

19451960198020002020

Zehn Thesen, die teilweise auf Widerspruch stoßen werden, stellt der Wiener Politologe Erwin Bader in dieser FURCHE zur Diskussion. Sein Appell: Christen sollten die Demokratie reformieren, nicht die Kirche an die Demokratie anpassen.

19451960198020002020

Zehn Thesen, die teilweise auf Widerspruch stoßen werden, stellt der Wiener Politologe Erwin Bader in dieser FURCHE zur Diskussion. Sein Appell: Christen sollten die Demokratie reformieren, nicht die Kirche an die Demokratie anpassen.

Werbung
Werbung
Werbung

Erstens: Wesentliche Bestandteile der Demokratie sind aus dem Christentum hervorgewachsen. Die Menschenrechte und Freiheiten wurden im Mittelalter durch die Kirche von den Mächtigen eingefordert. Das Verständnis der Staatsbeamten als „ Minister”, also Diener des Volkes, wurde vor allem durch die Franziskaner angeregt. Auch der Modus der Wahlen wurde im Klerus und in den Kirchen vorgeformt. Christen haben wesentlich zur Einführung, Entwicklung und Humanisierung der Demokratie beigetragen. Kirche und Demokratie sind keine Gegensätze.

2. Jesus sagte: Nicht Ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt. Andererseits war es die Volksmenge, die die Kreuzigung Jesu verlangte, wie schon früher die Athener Demokratie die Hinrichtung des Sokrates beschloß. Die Kirche hat zwar auch Ketzer verfolgt et cetera, aber die Kreuzigung des Messias selbst erfolgte nach einem „Volksentscheid”. Es ist nicht alles heilig, was als Demokratie gilt. Die Demokratie - von anderen Staatsformen ganz zu schweigen - scheint doch noch irrtumsanfälliger als die Kirche.

3. Die griechischen Demokraten hielten keine Wahl ab, um den Staatsführer zu bestimmen, sie warfen das Los; sie hielten die Wahl für undemokratisch, weil damit die ohnehin Mächtigen, die die Menge leichter überzeugen können, noch mehr Macht erhalten. - Nur ein kleiner Teil der Bewohner Athens hatte volle Bürgerrechte und war theoretisch chancengleich. Demokratie ist wandelbar, und der Begriff Demokratie ist dehnbar; die bisherigen Formen der Demokratie haben weniger miteinander gemeinsam als Kirche und Demokratie.

4. Die moderne Demokratie besteht noch nicht sehr lange. Der erste Versuch der Demokratie in Frankreich ging bald im Terror des Bobespierre unter, der nächste Versuch wurde durch die Diktatur des Kriegstreibers Napoleon vereitelt; auch der neue Anlauf zur Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg ebnete, wenn auch gegen seinen Willen, dem Totalitarismus (und dem Zweiten Weltkrieg) den Weg. Seit 1945 hat die moderne Demokratie noch keinen Erfahrungszeitraum, der vergleichbar wäre mit jenem der Kirche. Die Kirche reformiert sich seit zweitausend Jahren; die moderne Demokratie ist dagegen ein junges und noch fortdauerndes Experiment.

5. Die Eliten unserer Zeit, vor allem die Medien, Wirtschaft, Politik und Kirche, müssen in einem fairen Wettstreit und Meinungsaustausch stehen; derzeit besteht wohl eine Art Herrschaft der Wirtschaft über die Politik, der Politik über die Medien und der Medien über die Kirche. (Ausnahme: die furche) So entsteht ein einseitiges Machtgefälle, das die Gesellschaft nicht stärkt, sondern in eine Krise stürzen kann. Die politische Methode der Demokratie im modernen Sinne ist keine Allheilmethode für die ganze Gesellschaft.

6. Ein Referendum ist ein wichtiges Gegengewicht zur Herrschaft von Parlament und Regierung und muß ohne Einfluß von der politischen Elite angehalten werden, damit es seinen Zweck erfüllt. Das österreichische EU-Referendum, das eine Gesamtänderung der Verfassung bewirkte, machte den Bürger zum einzigen Gesetzgeber. Die Art seiner Durchführung widersprach dieser Begel und war ein tragischer Bückfall der demokratischen Entwicklung: Die Begierung handelte zunächst ohne wirklichen Volksauftrag, und vor der Abstimmung wurde die Meinung der Begierung dem Volk mit Hilfe von Staatsgeldern eingehämmert! Gerade die gegenwärtige politische Demokratie in Osterreich ist weitaus dringender reformbedürftig als die Kirche.

7. Manche Politikwissenschafter meinen, daß sich die Demokratie bisherigen Stils überhaupt dem Ende zuneige; nur Fachmänner, so behaupten sie, würden künftig regieren und die Entscheidungen würden bald bloße Sachentscheidungen sein, die das Volk nicht verstehe. Jeder weiß, daß die Europäische Union tatsächlich nicht demokratisch im klassischen Sinne funktioniert. Je höher die Ebene der Entscheidung, desto leichter kann das Volk bevormundet werden. Bevormundung widerspricht aber keinem anderen Organisationsstil so direkt wie der Demokratie, sie macht diese zur Farce. Ist diese ausgehöhlte Demokratie berechtigt, der Kirche Vorschriften bezüglich Freiheit und Demokratie zu machen?

8. Obwohl die Bepublik Österreich die demokratische Pflicht zur objektiven Information und zur Garantie der unbeeinflußten Meinungsbildung der Staatsbürger bei der EU-Abstimmung in Österreich, beim Beschluß zur Aufhebung der Selbständigkeit unseres Staates, grob verletzt hat, löste dies keinen moralischen Proteststurm aus! Der Grund dafür ist wohl, daß die Bedeutung der Moral - und der Kirche als moralische Instanz - in der Öffentlichkeit zu wenig geachtet wird. Eine Beform der Demokratie im christlichen Geist wäre eher fällig als eine Anpassung der Kirche an diese gefährdete Demokratie!

9. Der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe war ein Beform-ansatz, der leider nicht genug ernst genommen wurde. Andererseits gewinnt die Diskussion über die Beform der Kirche in der Öffentlichkeit mehr und mehr Baum. Dieses Interesse an der Kirche ehrt zwar die moderne Zeit, aber vergessen wir nicht: Die Kirche hat einerseits für den Gläubigen den Zuspruch des ewigen Beistands Gottes, der für die Politik beziehungsweise Demokratie nicht gilt, und andererseits besitzt gerade die moderne Politik, zum Unterschied von der Kirche, die reale und bedrohliche Möglichkeit, den Erdball zu zerstören.

10. Staatenwelt und Demokratie sind weltweit krank; dies zeigt sich in der vielfachen Bedrohung unserer Zeit; Umweltvergiftung, Bohstoffver-knappung, Klimaveränderung, Schuldenkrise, Arbeitslosigkeit, Terrorgefahren und Kriege, Büstung, Abtreibungen, krankmachende Nahrungsmittel et cetera. Papst Johannes Paul II. warnt vor einer Kultur des Todes, ohne daß die Öffentlichkeit darum entsprechend beunruhigt ist. Die öffentliche Meinung wird eben viel zu wenig von der Kirche, sondern von der - leider zu wenig demokratischen -Politik (und Wirtschaft) geprägt und verkennt die tatsächlichen Gefahren. Die beste Beform der Kirche heißt daher, nach außen statt nach innen schauen: Beformieren wir die Demokratie, bevor es zu spät ist!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung