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Ist eine Protestantisierung notwendig?

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Wie demokratisch ist die Kirche? Wie kirchlich ist die Demokratie? Ein Grazer Kongreß setzte sich damit auseinander.

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Wie demokratisch ist die Kirche? Wie kirchlich ist die Demokratie? Ein Grazer Kongreß setzte sich damit auseinander.

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Wohl kaum ein Thema hat religiös engagierte Menschen in letzter Zeit so stark beschäftigt wie die Stellung der Kirche zur Demokratie. Ist Demokratie mit der Hierarchie der Amtskirche überhaupt vereinbar? Ist Mitsprache ohne Entscheidungsrecht nicht nur Scheindemokratie? Wie eng darf die Beziehung zwischen Kirche und Staat sein, um noch als demokratisch zu gelten? Und schließlich als brisantes Thema: Wie geht die Kirche mit ihren Unterprivilegierten, nämlich den Frauen und den Laien, um? Alle diese Fragen wurden in Graz auf einem Symposium „Demokratie in der Kirche - Kirche in der Demokratie” behandelt. Veranstalter war die Theologische Fakultät der Universität, als Vortragende waren Politologen, Theologen und Juristen geladen. Wesentliche Fragen wurden in den Diskussionen aufgeworfen und auch beantwortet.

Wie zu erwarten war, sparten gerade die Politologen nicht mit Vorwürfen: Schon zur Zeit der Französischen

Revolution habe sich der Klerus mit dem atteien regime verbunden und die Frage der Menschenrechte den protestantischen Staaten überlassen. Eine Demokratisierung müsse daher notwendigerweise zu einer Protestantisierung der Kirche führen. Die in den Menschenrechten verankerte Gleichheit werde heute noch den Frauen vorenthalten wie früher den Sklaven, sogar eine unheilige Allianz der Kirche mit dem islamischen Fundamen-talismus wurde der Kirche in der Frauenfrage vorgeworfen.

Gerade zu diesem Thema kam ein Beitrag der polnischen Juristin Irena Lipowics (sie war statt der dienstlich verhinderten emeritierten Ministerpräsidentin Hanna Suchocka gekommen). Das politische Schicksal ihrer Heimat führte zu ungewollter Gleichberechtigung. Durch Kriege und Teilungen Polens waren die Männer nur selten zu Hause, die Frauen mußten alle Aufgaben übernehmen. Während der Besetzung durch die deutsche Armee wurden die Rechte weiblicher Offiziere auch von den Nazis anerkannt, welche die Frauen nach dem Warschauer Aufstand in den Gefängnissen nicht besser behandelten als die Männer.

Die polnische Gesellschaft war immer als Ganzes unterdrückt, das führte zu anderen Empfindungen als wenn nur Frauen unterdrückt würden. Frau Lipowics war auch die einzige, welche das heiße Eisen Zölibat aufgriff: Verheiratete Priester sind durch ihre Familien erpreßbar und daher gerade in Zeiten politischer Repression fehl am Platz.

Daß die Kirche auf hierarchischen Strukturen beruht, obwohl sie in den westlichen Staaten in einem Umfeld von Demokratie lebt, ist unbestritten.

Zum Unterschied von der protestantischen Kirche steht der Papst über allen Gremien, auch über dem Konzil. Darin wurde ein wesentliches Hindernis für Demokratisierung gesehen, weil Macht im Gegensatz zu den Menschenrechten steht. Gerade in der Frage der Menschenrechte wurde der entscheidende Fehler der Kirche gesehen: Man diskutiert über Formen und Strukturen statt über Inhalte. Der wichtigste Inhalt sollte aber der Respekt vor den Menschenrechten sein. Seltsam genug, wurde gerade in dieser Frage der theologische Aspekt übersehen: Politologen sprachen über Menschenrechte, die von der Gottes-kindschaft abgeleitete Stellung des Menschen kam kaum zur Sprache. Nachdem die kirchliche Hierarchie weidlich von allen Seiten her angegriffen, nach Öffnung gerufen und die Abschaffung staatlicher Privilegien wie die Verbindung der Theologisehen Fakultät mit der staatlichen Universität in Aussicht gestellt worden war, kam ein Beitrag aus dem Publikum: Hierarchie ist nicht dasselbe wie Unterdrückung. Sie entlastet den Menschen, der in schwierigen Situationen sehr schnell überfordert werden könnte. Fazit des Symposiums: Der Prozeß der Demokratisierung, eingeleitet durch das Zweite Vatika-num, ist irreversibel.

In welche Bereiche er führen wird und wie lange er dauern wird, bleibt offen. Gesellschaftliche und politische Prophezeiungen sind ein Kennzeichen von Ideologien, nicht von Demokratien.

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