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Die Rezeption der Demokratie

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Das kalkulierte Risiko, das in dem jetzigen Experiment des Katholizismus steckt, ist die Rezeption der Demokratie. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Hier ist nicht von der Angst der Autokraten die Rede, die diese (sofern vorhanden) vor der Demokratie haben; sondern von den Grenzen und Möglichkeiten eines solchen Systemwechsels. Es gibt Heilpraktiken, denen zufolge es an-gänglich ist, eine akute Erkrankung durch eine andere auszuheilen. Bei dem Experiment, die Kirche mit der Demokratie zu kurieren, muß zuerst bedacht werden, daß sich die europäische Form der Demokratie, das Modell 1750, in einer Spätkrise befindet, die tiefer sitzt als die „Krisis der Kirche“. Nach den Anschlägen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren Faschismus und Volksfront auf die Demokratie gemacht haben, wurden sie nach 1945 unter eine Art von politischem Denkmalschutz gestellt und tabuiert. Die Tatsache, daß das Modell der Demokratie, so wie es die Angelsachsen und die Franzosen im 17. und im 18. Jahrhundert erfunden haben, letzten Endes kein Produkt des Verstandes ist, sondern das eines Glaubens, wird sorgfältig unter Verschluß gehalten. Aber selbst jene, die an die souveräne Macht der ratio in der Demokratie glauben, stoßen in unserer Zeit auf Gilbert Keith Chesterton:

Es ist müßig, immer über die Alternative von Vernunft und Glaube zu reden. Die Vernunft ist selbst eine Sache des Glaubens. Es ist ein Akt des Glaubens, zu versichern, unsere Gedanken stünden zur Wirklichkeit überhaupt in irgendwelcher Beziehung. So wie die Religion gewichen ist, weicht auch die Vernunft. Denn sie sind beide von gleich primärer und autoritativer Art. Beide sind Beweismethoden, die selbst nicht bewiesen werden können. „Und als wir die Idee einer göttlichen Autorität zerstörten, haben wir weitgehend die Idee der menschlichen Autorität zerstört.“ (Chesterton, „Das Abenteuer des Glaubens“.)Jetzt weht die schwarze Fahne des Anarchismus über nicht wenige Hochschulen und da und dort vor einer Kirche. Aber den Hidden Persuaders, den geheimen Verführern, geht es nicht hur um den Abbau vorhandener Autorität, sondern um die Aufrichtung der ihrigen, die der Zerstörung des Establishment folgen soll.

So ging es auch in der Konzilskirche nicht um ein Ringen ermüdeter Romantiker und eilfertiger Futuristen, sondern um die auetoritas. Angesichts der in der katholischen Kirche gesetzten Autorität des Göttlichen und des davon ausgehenden Rechtes, ist eine Rezeption der parlamentarischen Demokratie nur mit einer salvatorischen Klausel zulässig: In der katholischen Kirche gibt es Recht, das nicht vom Volk ausgeht; unzerstörbares göttliches Recht, das kein Träger dieser Autorität verhökern dürfte. ..

Wann, ein Synodale sagte, er klage Autoritätsträger an, die Autorität, die nicht aus ihnen selbst kommt, die ihnen verliehen ist, hergeben anstatt sie zu tradieren, dann geht das den Kern der Sache an. Solche Autorität bewährt sich nicht im- Alltag der Offizialität, sondern in der Krise. Auch die moralische Autorität, die im System der Demokraitie steckt, ist nicht für das Perpetuum mobile der demokratischen Prozedur gedacht, sondern für die Krise. Es stammt der Satz, wonach die Demokratie so ziemlich das schlechteste politische System sein soll, jene ausgenommen, die an ihrer statt versucht worden sind, nicht erst aus unserer Zeit und von Winston Churchill; diese selbstkritische Sentenz wurde bereits von den 48er Revolutionären nach leidvoller Erfahrung geprägt. Daraus eine Überlegenheit über die 2000jährige Ordnungsidee der Kirche abzuleiten, wäre in der Tat ein kalkuliertes Risiko.

Denn zu dem ehrwürdigen Modell der Demokratie aus 1750 gehören Vorstellungen längst vergangener Epochen: Das fundamentale politische Rahmenwerk, der Nationalstaat, fand am Ende des Dreißigjährigen Krieges seinen formalen politischen und rechtlichen Status; die radikale Demokratie des Rätesystems erfanden die Levellers im Heere Cromwells; das Repräsentativsystem gehört zum Appeasement der englischen Adelsoligarchie am Schluß des Bürgerkrieges (1689); die demokratischen Praktiken entsprachen den hauchdünnen Oberschichten der New-England-Staiaten. 1922 schon hat W. Fogburn auf der eultural lag hingewiesen auf die Existenz inmitten hypermoderner Maschinen und antiquierter Einrichten; auf das Unbehagen, das im Industriesystem seinen Höhepunkt erreicht. Die Rezeption der traditionellen Demokratie in die Kirche wäre zuwenig. Es geht darum, ein Modell zu entwickeln,

• das weniger den politischen Erfordernissen des 18. und 19. Jahrhunderts entspricht als den kirchlichen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Es soll nicht untersucht werden, wie gut das Wahlrecht einer Synode ist. Wenn Kritiker sagen, es führe dazu, daß Minoritäten große Majoritäten repräsentieren und leiten dürfen, dann ist diese Kritik aus der Distan-ziertheit der „Fernstehenden“ (= derzeit gültige Umschreibung des Gegners) wert, überdacht zu werden. Wichtiger ist wohl folgendes: In der Konzilskirche war ein Kirchenvolk präsent, das ungleich besser als jedes Parlament in Europa die fällige Konfrontation der Generationen sichtbar werden: ließ. Solange es solche Syriodalversammlügen geben wird, wird die katholische Kirche nicht unter den Bedrohungen einer „außerparlamentarischen Opposition“ zu leiden haben. Daß das „Establishment“ diese Situation akzeptiert, in den Polemiken an sich gehalten und nicht mit Autorität um sich geworfen hat, ist ein wertvoller Ertrag. Uberhaupt macht in allen Sektoren die mehr Clandestin als präpotent geübte Autorität das Gesetz der Polemik erträglicher. Daß den kirchlichen Dignitären und den Inhabern staatlicher Ränge ihre Titel sang- und klanglos entzogen wurden, war eine Erscheinung am Rande; viel wichtiger ist es, daß bei der Einigung im Sachlichen nicht die „Privilegien der Autoritäten“ auf das „Recht, das vom Volke ausgeht“, stoßen, weil, wie einmal festgestellt wurde,

• bei dem ganzen kein Streit zwischen gewerkschaftlichen oder bürokratischen Irxteressenvertretern stattfindet, sondern

• die vita communis der Brüder.

• Denn: Christen sind keine Kollegen, sondern Brüder.

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