6788564-1970_25_01.jpg
Digital In Arbeit

Die neue Staatspartei

Werbung
Werbung
Werbung

Der SPÖ-Parteitag in Wien ging ohne äußere Sensation vor sich. Es gab keine schwerwiegenden Auseinandersetrungen, kein Problem, das in den Vordergrund gestellt wurde, keine Kampfansage größeren Ausmaßes. Es war ein Parteitag des Establishments und unterschied sich nicht allzusehr von einem Parteitag der ÖVP. Darin aber lag die eigentliche Bedeutung des SPÖ-Partei-tages.

Es begann schon am Mittwoch bei der Eröffnungszeremonie, als die Wiener Philharmoniker mit und unter Leonard Bernstein das erste Klavierkonzert und die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 von Beethoven spielten. Schon damit wurde die innere Wandlung der SPÖ von einer Kampfpartei zu einer Staatspartei deutlich gemacht. Man kann nämlich Beethoven als Freiheitshelden und Revolutionär rühmen, nur eines war er nicht und wäre es auch nie geworden, selbst wenn er zu Marxens Zeiten gelebt hätte: ein Marxist. Beethovens Freiheitsideal galt in erster Linie der Freiheit des einzelnen. Der Begriff des Kollektivs als eine der Würde und Freiheit des einzelnen übergeordnete Wertkategorie wäre ihm als ein Verhängnis in der Entwicklung der Menschheit erschienen.

Kreiskys Berufung auf Beethoven war noch dazu mit einer kleinen, aber echt österreichischen Geste verbunden. Er betonte den Namen des Komponisten auf der zweiten Silbe, zweifellos nicht aus Bild-ungsmangel, sondern bewußt, weil einstmals der österreichische Adel diese Betonung einführte, um den deutschen Musikgiganten in österreichischen Besitz zu nehmen. Kreisky will den österreichischen Menschen, der jedoch nur geschaffen werden kann, wenn er die Vergangenheit bewältigt, nicht nur die nach 1918, sondern auch die vor 1918. Die neue Staatspartei muß langsam auch ein positives Verhältnis zur Monarchie entwickeln, ohne die es Österreich nicht gäbe. Die SPÖ will keine Partei des Klassenkampfes mehr sein. Ihre kulturelle Hinwendung zur bürgerlichen Kultur und zu bürgerlichen Freiheitsidealen, wofür das Konzert einen demonstrativen Beitrag leisten sollte, zeigt, wie sehr Kreisky bemüht ist, die SPÖ aus einer Linkspartei zu einer Volkspartei zu führen. Er weiß nur zu gut, daß der Sozialismus alter Prägung keine taugliche Organisationsform einer modernen Gesellschaft ist, weil er den ohnehin bestehenden Trend zur Gleichschaltung und Vergesellschaftung des Menschen verstärkt und damit den Freiheitsraum des Menschen noch mehr einengt. In seinem Bemühen kommt Kreisky die Tatsache der Alleinregierung sehr zugute. Nun trägt die SPÖ die Regierungsverantwortung, ist die alleinige Staatspartei geworden und hat der ÖVP diese Aufgabe abgenommen. Die Organisation der SPÖ selbst kannte damit noch gar nicht recht fertig werden und muß deshalb Kreisky blindlings vertrauen.

Der SPÖ-Parteitag hat erneut bestätigt, welch kluger Politiker Kreisky ist. Eine große Koalition hätte die Sozialistische Partei niemals mit jenem Verantwortungsgefühl erfüllt wie die derzeitige Alleinregierung. Sie hätte aber auch Kreisky nicht jene überragende Stellung in der Partei verschafft, die er heute besitzt. Als Kreisky die ÖVP bei den Regierungsverhandlungen auspunktete, machte er sich gleichzeitig zum unentbehrlichen Mann innerhalb der eigenen Partei. Kein Politiker der SPÖ könnte derzeit Kreiskys Verantwortung übernehmen, keiner würde es wagen, Kreiskys Weg ins Ungewisse zu gehen, weil keiner dazu den Mut und die Begabung besitzt.

Die Fahnen Österreichs und der Bundesländer an den Wänden an Stelle der Parteiembleme, den drei Pfeilen, und der gedämpfte Ton der Reden, die auch auf den Wortkampf gegen den Kapitalismus verzichteten, zeigten ebenso wie das Beethoven-Konzert die neue Richtung an. Das Kapital ist erwünscht, aus dem Inland ebenso wie aus dem Ausland, und hat seinen Nibelungenfluch verloren. Kreisky sprach insbesondere vom Mangel an „Sozialkapdtal“, dem durch das „Leasing-Verfahren“ abgeholfen werden soll. Gehörte es bisher zu den sozialistischen Grundsätzen, daß Gemeinschaftseinrichtungen, wie Wohnungen, Spitäler und Schulen, aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren seien, so sieht Kreisky im Heranziehen fremden Kapitals auch unter kapitalistischen Bedingungen einen erfolgreicheren Weg, die Gemeinschaftsaufgabe der Zukunft zu bewältigen. In diese Richtung hin zielt auch Kreiskys Feststellung, daß die verstaatlichte Industrie weder Privilegien noch Nachteile haben soll — ein altes ÖVP-Schlagwort — und daß eine Fusion der österreichischen Mineralölverwaltung und der österreichischen Stickstoffwerke angestrebt werden müsse, was völlig auf der Linie der vorangegangenen ÖVP-Alleinregie-rung liegt und sich gegen vermeintliche Gewerkschaftsinteressen richtet. Wie sehr Kreisky in der Partei verankert ist und seine Politik gegenüber der Gewerkschaftspolitik den Vorrang genießt, offenbaren die Wahlergebnisse. Kreisky wurde mit 511, der Gewerkschaftsobmann Benya aber nur mit 474 Stimmen in den Vorstand gewählt. Weniger Stimmen erhielten von den prominenten Parteigenossen nur noch Pittermann (465), Probst (445) und Weikhart (436).

Kreisky überrundete sogar die ÖVP bei den wirtschaftlich nüchtern denkenden Österreichern, als er vor dem gemeinsamen Antrag der ÖVP und FPÖ, Überstunden in bestimmten Fällen nicht zu besteuern, warnte. Als Chef der Regierung, die für das Budget verantwortlich ist, lehnte er eine Verminderung der Staatseinnahmen ab und untermauerte diese seine Ansicht mit der Drohung, daß andernfalls bei denen das Geld eingehoben werden müßte, die auf Grund ihres hohen Einkommens noch zu Zahlungen angehalten werden können. Damit spielte Kreisky die Industrie gegen die ÖVP aus, was nur beweist, welch Vorsicht für die ÖVP geboten ist bei der Annahme, in der Opposition dürfe sie die Sozialisten mit Forderungen übertrumpfen. Sie könnte sich dabei ihre wichtigste Geldquelle verstopfen. Weil aber der Erfolg der Partei in erster Linie auf Kreiskys politischer Führung beruht, vermochte der Parteiobmann auch seine Wünsche innerparteilicher Art durchzusetzen. Das Wichtigste war die Festlegung der Altersgrenze für sozialistische Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern sowie für Mandatare des Nationalrates und der Landtage. Es wurde das 66. Lebensjahr als Endtermin für die Tätigkeit sozialistdscher Funktionäre in jenen Körperschaften festgesetzt. Über die Zweckmäßigkeit und den demokratischen Gehalt einer solchen Entscheidung läßt sich streiten. Als Renner durch sein politisches Geschick die Zweite Republik über ihre erste und schwerste Runde brachte, zählte er 75 Jahre. Im Pensionsalter standen auch Adenauer und de Gaulle, als sie die Geschicke ihres Landes entscheidend beeinflußten. Außerdem wird das Durchschnittsalter der Menschen immer höher, die Erfahrung immer wertvoller, doch die Heranziehung unreifer Menschen zu schwierigen Aufgaben immer größer. Auf der anderen Seite offenbaren sich sicherlich auch ein Verbrauchtsein und eine Betriebsblindheit bei vielen in Partei, Regierung und Parlament ergrauten Politikern.

Zweifellos handelt es sich im besonderen Fall um eine Lex Pittermann, der übrigens durch seine Kritik am amerikanischen Wirtschaftssystem Kreisky durch die Blume zu verstehen gab, wie wenig er von den kapitalistischen Wirtschaftsexperimenten des Bundeskanzlers hält. Kritik übten überhaupt fast nur noch die Alten, etwa Josef Hindels, der immer noch glaubt, die Entwicklung wäre 1945 stehengeblieben und den Österreichern rinne noch ein Schauer der Bewunderung über den Rücken, wenn sich einer seiner Tätigkeit als Freiheitskämpfer rühmt. Die Jugend ging schon längst darüber hinweg. Und sie war es auch, die Kreiskys Eintreten für den ehemaligen SS-Mann Dr. öllinger verteidigte und Simon Wiesenthal an den Pranger stellte. Der SPÖ-Parteitag 1970 war somit ein Triumph der Jugend und Dr. Kreiskys, der zwar nicht zur Jugend zählt, aber eine optimistische Atmosphäre verbreitet, wie sie die Jugend wünscht und benötigt. Kreisky selbst aber, der weiß, wie schmal der Grat seiner Wanderung ist, hält sich noch an das humanistische BildungBideal seiner großen Vorbilder in der Partei, an Renner und Bauer, wenn er den Gleichmut in glücklichen und schwierigen Augeiniblicken preist und sich auf die Horazischen Verse beruft: „Den Gleichmut wahr dir mitten im Ungemach. Wahr ihn desgleichen, lächelt dir

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung