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Die Zedern stehen in Flammen

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Der Ursprung der blutigen Auseinandersetzung, die heute über die Grenzen Libanons hinaus den gesamten nahöstlichen Raum zu erschüttern droht, ist paradoxerweise auf einen politischen Akt zurückzuführen, der als ein Instrument gedacht war, um die Ruhe und den Frieden in diesem Raum zu sichern; auf die Verkündung der sogenannten Eisenhower-Doktrin, Dadurch, daß Libanon, im Gegensatz zu allen übrigen arabischen Staaten, die Doktrin formell akzeptierte, wurde der Keim einer inneren Spaltung in einem bis dahin einigen und in friedlicher Arbeit aufstrebendem Lande gelegt. Indes die einen in der doch wohl nur akademischen Grundsatzerklärung des amerikanischen Präsidenten ein tatsächliches Schutz-und Trutzbündnis und die bleibende Garantie der libanesischen Souveränität und Prosperität zu erblicken vermeinten, befürchteten die anderen eine Verstärkung des amerikanischen Einflusses in einer Richtung, die Libanons Unabhängigkeit bedrohen und schließlich zu seiner Herauslösung aus der Gemeinschaft der arabischen Völker führen würde. Dieser Widerspruch der Auffassungen hätte sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach allmählich überbrücken lassen, wäre dem Staatspräsidenten Camille C MllliliÜnajUlllW cme Mi l WUfcrttfWH [Mif iWi und Außenminister, Charles“M a*l i k, der~s“cTtoir manche Beweise seiner diplomatischen Geschicklichkeit geliefert hatte, nicht ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen Es war dies die anfangs Mai erfolgte Bekanntgabe der Absicht Schamuns, sich seine zu Ende gehende Amtsperiode um weitere sechs Jahre verlängern zu lassen und einige seiner Meinung nach vom Volk gewünschte Verfassungsänderungen durchzuführen. Das Mandat hierfür wollte er, darüber konnte kein Zweifel bestehen, auf der Grundlage einer unverändert engen Verbundenheit Libanons mit dem Westen gewinnen.

Präsident Chamoun hatte sich, das konnten auch seine Gegner schwerlich bestreiten, um Staat und Volk in mancher Hinsicht verdient gemacht und durch seine Initiative namentlich auf wirtschaftlichem Gebiet Nützliches geleistet. Aber mit dem Gedanken, ihn weitere sechs Jahre an der Spitze des Staates zu sehen, wollte sich die muselmanische Opposition nicht abfinden; weniger weil er ein gläubiger Christ, ein Katholik des maronitischen Ritus ist, als aus Mißtrauen gegen seine nicht näher definierten Verfassungsreformpläne und die Aufrichtigkeit seiner Zusage, ungeachtet der betont prowest- . liehen Tendenz seiner Politik freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen mit Aegypten anstreben zu wollen. Es kam zu Streiks, zu turbulenten Demonstrationen und vereinzelten Terrorakten, denen sehr bald der offene Aufstand folgte.

Was gleich anfangs gegen die Regierung ins Gewicht fiel, war die geschlossene Gegnerschaft der kriegerischen Drusen. Ihre sich traditionell und oft bis aufs Messer befehdenden Stammes führer hatten jetzt eine sie einigende Devise:

Chamoun muß aus dem Weg geräumt werden, um unser Endziel in Reichweite zu bringen! Und was dieses gemeinsame Endziel sein sollte, das hat der Drusenscheich Mohammed Abu Schakra deutlich genug mit den Worten umrissen: „Haltet euer Pulver trocken für unseren gemeinsamen Feind, den Juden.“ Daß Präsident Chamoun die Kampagne gegen Israel nicht mitmachen wollte spielt übrigens nur bei den Drusen eine so große Rolle. Die Motive des größten Teiles der revoltierenden Opposition sind komplexer und nicht so leicht zu definieren. Begeisterung für die panarabische Idee; Bewunderung für den Heros Nasser und, in Kreisen junger Intellektueller, für den mächtigen und so uneigennützigen „Schutzherrn“ in Moskau; ein irrationaler, aber gerade deshalb um so virulenter Antiamerikanismus; der natürlich revolutionäre Trieb eines neuen Proletariats, der erst kürzlich entwurzelten Hirten und Bauern, die auf dem Boden der Stadt nicht Fuß fassen konnten und von einem Umsturz, gleich welche Art, eine Besserung ihrer desolaten Lage erhoffen; aus allen diesen Elementen hat sich unter Anleitung und eifriger Mitwirkung ägyptischer oder syrischer Agenten und in Moskau trainierter Emissäre unbestimmter Provenienz ein Strom RgjSbJldet, unter dessen Fluten schon wichtige “feite' des Staatsgebietes der Kontrolle der Re* gierung entzogen sind. Auch die an Syrien grenzenden Distrikte sind auf weite Strecken hin in den Händen der Aufständischen, wodurch diese in der “Lage sind, ihre Streitkräfte durch Heranziehung ausländischer Mitkämpfer und ausländischen Kriegsmaterials, welches ihnen von oder über Syrien zur Verfügung gestellt wird, ungestört zu verstärken.

Demgegenüber hat die Regierung nur unzureichende Machtmittel einzusetzen. Auch die jüngsten Lieferungen amerikanischer moderner Waffen konnten nichts daran ändern, daß die reguläre Armee bloß 8000 Mann zählt und daß sie an der Bevölkerung einen sehr geringen Rückhalt besitzt. Libanon, als die einzige Ausnahme im arabischen Raum, ist ein mehrheitlich christliches Land. 52 Prozent seiner etwa eineinhalb Millionen Bewohner gehören der maro-nitisch-katholischen Kirche an, die übrigen, bis auf einen geringen Bruchteil, sind Mohammedaner. Man hätte glauben sollen, daß sich diese 52 Prozent schon aus Sorge um die Erhaltung ihrer kleinen christlichen Insel im Meer des Islam wie ein Mann hinter ihren christlichen, abendländisch orientierten Staatschef stellen würden; und dort stehen sie auch, zumindest in der großen Mehrzahl, einschließlich sogar eines Teiles ihrer islamitischen Landsleute — sie stehen, aber sie marschieren nicht, oder nur höchst ungern. Es fehlt ihnen der Elan des Angreifers, den die ideologische Peitsche der von Kairo und Damaskus und Moskau geführten Agitation unablässig vorwärts treibt. Und es fehlt ihnen vielfach auch die Einsicht in die Schwierigkeiten und Gefahren, die eine Eingliederung Libanons in Nassers Vereinigte Arabische Republik mit sich bringen würde, worin sie sich übrigens von der militanten islamitischen Opposition wenig unterscheiden. Auch die Aufständischen können oder wollen sich von der Illusion nicht trennen, sehnlich wie so viele österreichische Nationalsozialisten vor 1938, daß der „Anschluß“ keineswegs das Ende jeglicher Selbständigkeit und Freiheit des eigenen Volkes bedeuten würde.

Der mehr oder weniger passiven Haltung der christlichen Libanesen liegt noch ein anderes Moment zugrunde, und zwar die anfänglich zu einigem Zweifel Anlaß gebende Stellungnahme ihres Oberhirten, des Patriarchen Paul Meouchi. Sein Einfluß auch in politischen Fragen beruht auf einer sehr alten Tradition, denn das nicht unerhebliche Maß politischer und judizieller Autonomie, die sich die maronitischen Gemeinden durch die Jahrhunderte türkischer Herrschaft bewahren konnten, war vor allem ihren Bischöfen zu verdanken, deren Autorität auch von der türkischen Regierung respektiert werden mußte. Es machte daher in ganz Libanon einen gewaltigen Eindruck, als Radio Kairo verkündete, Monsignore Meouchi habe in einem Glückwunschschreiben an den Präsidenten Nasser das Zustandekommen der ägyptisch-syrischen Union als einen „Sieg der arabischen Nation“ begrüßt, und des weiteren erklärt, „die arabische Welt ist nicht aus eige* nent'Willen in verschiedene Staaten geteilt, der Imperialismus allein ist schuld an dieser Uneinigkeit“. Und einige Tage später, am 13. Februar d. J., wurde dieser Eindruck noch verstärkt durch die Meldung libanesischer Oppositionsblätter, der Patriarch habe einer in seiner Residenz in Bkerke erschienenen Delegation der sogenannten „Einheitsfront der Region von Akkar“ versichert: „Die maronitische Gemeinschaft ist noch arabischer als der Islam, und sie wird immer arabisch bleiben und treu dem arabischen Nationalismus...“ Zu letzterer

Alle Hilfe und Zuschriften nicht an die Redaktion, sondern direkt an die SOS-Gemeinschaft, Wien I, Freyung 6, 6. Stiege, Telephon 63 17 98 Serie, Postscheckkonto SOS 94.206. Erlagscheine werden auf Wunsch zugeschickt und sind auch in allen Postämtern erhältlich. Meldung allerdings ließ der Patriarch durch sein Sekretariat bekanntgeben, man habe seine

war,“jeden Zweifel Über seinen Standpunkt zu beseitigen. „Wir haben ein absolutes Ver*; trauen“, so betonte er, „zu unserem Vaterland Libanon und zu dessen Unabhängigkeit, Souveränität und Freiheit, und wir werden nichts akzeptieren, was diese Unabhängigkeit, Souveränität und Freiheit irgendwie einengen oder verringern könnte... Wir sind überzeugt, daß die auf der Basis der Gleichberechtigung und gegenseitiger Achtung bestehende Zusammenarbeit Libanons mit dem Westen nicht nur für unser Land, sondern für die arabischen Völker überhaupt von wirtschaftlichem, sozialem und allgemein zivilisatorischem Nutzen ist...“ Diese Rede ließ als Ausdruck libanesisch-patriotischer Gesinnung nichts zu wünschen übrig, aber damit war der Schaden nicht gut gemacht, den jene früheren, Monsignore Meouchi mit Recht oder, wahrscheinlich, mit Unrecht zugeschriebenen und von der panarabischen Propaganda weidlich ausgeschroteten Aeußerrnen angerichtet hatten.

Mittlerweile' ist die Lage der Regierung Chamoun eine äußerst kritische geworden und es ist fraglich, ob es selbst dem sehr fähigen und von allen Parteien respektierten General Fuad C h e h a b, wenn er jetzt die Präsidentschaft übernähme, noch gelingen könnte, die Ordnung wieder herzustellen. Dem Beherrscher der Vereinigten Arabischen Republik erscheinen die Chancen für einen „freiwilligen“ Beitritt der libanesischen Republik in diesem Zeitpunkt wohl als zu günstig, um sich leicht zu einem Abblasen des von ihm gesteuerten Aufstandes zu entschließen. Anderseits ist eine bewaffnete Intervention der Westmächte praktisch ausgeschlossen, denn eine offene Aggression, zu deren Zurückweisung wo immer im arabischen Raum sie sich verpflichtet haben, liegt hier ja nicht vor. Es kommt also jetzt darauf an, ob es mittels des von der UNO in Gang gesetzten Apparates gelingt, der ägyptisch-syrischen Infiltration und der Unterstützung des libanesischen Aufstands von jenseits der Grenze her ein Ende zu machen. Gelingt es nicht, und erweist sich damit das Unvermögen des Westens, dem Nasserschen Imperialismus Einhalt zu gebieten, dann sind die Tage eines freien Libanon wohl gezählt und tiefgreifende Erschütterungen in allen übrigen, von Kairo heute noch unabhängigen arabischen Staaten vorauszusehen.

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