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Tony Blair in der Rolle des Pontius Pilatus

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Kurz erst ist er im Amt, und schon gibt es eine Biographie, und eine Zusammenstellung der Visionen, die ihm vorschweben, ' als Draufgabe. Die Rede ist von Tony Blair, dem Wunderknaben Englands, der mit einem fulminanten Wahlsieg die Sozialdemokraten nach 16 Jahren in der Opposition wieder an die Regierung brachte. Wie bereits in der Auseinandersetzung über die Erneuerung der Partei, ist er auch weiterhin nicht mit altbewährten Maßstäben zu messen - für die einen ist er unorthodox, für die anderen Realist. So hat er in den ersten 100 Tagen das Rad der Geschichte nicht etwa zurückgedreht, sondern klargestellt, daß er von Fall zu Fall entscheiden will, wie er mit dem Erbe, das er von den Konservativen übernommen hat, umgehen wird.

Die Biographie und der Band mit den programmatischen Äußerungen geben einen Einblick in das Denken eines Mannes, der geboren wurde, als Kö- nigin Elizabeth ein Jahr im Amt war.

„Der Herausforderer” von Jon So-pel ist mehr als ein Buch über Tony Blair und ein wenig Unterricht über das parlamentarische System Englands, es ist auch die Geschichte sehr unterschiedlicher Freundschaften und liefert nicht zuletzt ein Beispiel dafür, wie wichtig Public Relation für Aufstieg und Erfolg eines Politikers sind. Es ist auch eine Auseinandersetzung mit Tony Blairs „Schatten”, seinem Medienberater Peter Mandelson, der es mit seinem Wissen, seinem Einsatz und einer Spur Brutalität verstand, die Medien zu beeinflussen und allen schönen Begeln zum Trotz, die bei Seminaren über dieses Metier vertreten werden, auch vor Druck nicht zurückschreckte. Buchautor Sopel muß es wissen, er war als politischer Korrespondent jahrelang für die BBC in Westminster tätig.

So spannend er den Aufstieg Blairs schildert - nach dem Mord an einem zweijährigen Buben durch zwei Halbwüchsige punktete er mit der Wortmeldung „Wir müssen hart gegen das Verbrechen vorgehen und hart gegen die Ursachen” -, so mühsam liest sich der Beginn des Buches. Der Geschichte von der spät entdeckten Herkunft des Vaters, der bei Stiefeltern aufwuchs, wird unverhältnismäßig viel Raum gewidmet und das geistige Klima und die Stimmung an der Universität wird nur recht trocken abgehandelt. Zum Ausgleich dafür hat Autor Jon Sopel aber die Geschichte der Labour Party in den letzten dreißig Jahren mit Anekdoten gespickt.

Tony Blair ist ein Politiker, der die Macht der Presse und die Gesetze der Medien kennt, sich aber dennoch nicht mit Haut, Haar und Privatleben auf den Markt wirft. Er ist ein Gläubiger, dessen Reden an Predigten erinnern und der selbst auf Kirchenlieder zurückgreift, wenn er zu den Parteimitgliedern spricht. Eine zentrale Aussage, die er oft wiederholt, ist die Beschwörung von Hoffnung und Zuversicht. Im Wahlkampf mutierte die

Labour Partei in den Medien zur „party of aspiration”. Blair: „Zuversicht statt Unsicherheit ist die wahre Grundlage des Fortschritts - die Zuversicht, daß Leistung und harte Arbeit belohnt werden.”

Er vertritt Kooperation statt Konfrontation, Gemeinschaftssinn statt Furcht und versteht es, Hoffnung zu geben. Sozialist sei er geworden, „weil ich glaube, daß der Sozialismus in seiner besten Form einer zugleich vernünftigen und moralischen Existenzweise am nächsten kommt”. Ob solch geradezu Clintonsches Pathos plus „nationale Erneuerung” zu Verwirklichung seiner Vision eines besseren Großbritannien reicht, kann nur die Zukunft zeigen.

Blairs Visionen-Buch ist eine Zusammenstellung von Reden und Kommentaren für verschiedene Zeitungen. Wie in diesem Genre üblich, fehlen die wohlklingenden Leerformeln nicht: „In der Wirtschaft sollten wir die Alternative zwischen dem primitiven reinen Marktprinzip und der Planwirtschaft durch eine neue Partnerschaft zwischen Regierung und Wirtschaft, Arbeitnehmern und Managern ersetzen.” Doch der Autor hieße nicht Blair, würden sich nicht auch hier,eine Menge Überraschungen finden. So bringt er im Beitrag „Warum ich Christ bin” das Osterfest als Zeit der Wiedergeburt und Erneuerungauf verblüffende Weise mit seiner Politik in Verbindung: In Pilatus findet er den „archetypischen Politiker”, der sich zwischen dem Guten und dem politisch Opportunen entscheiden mußte. Einige böse Zungen der Labour Party meinen, angesichts der vielen geopferten Grundsätze werde wohl auch er seine Hände in Unschuld waschen.

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