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Zutritt zu den europäischen Märkten

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Am schwierigsten war wohl meine Aufgabe in Moskau. Wir haben von sowjetischer Seite wiederholt die Ansicht gehört, daß jedes über einen Meistbegünstigungsvertrag hinausgehendes Arrangement mit der EWG mit der Neutralität Österreichs unvereinbar sei. Demgegenüber habe ich dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow in aller Offenheit dargelegt, daß die Beseitigung der Diskriminierung Österreichs in den Ländern der EWG eine Lebensnotwendigkeit für Österreich ist und daß die Unabhängigkeit unseres Landes bei einem wirtschaftlichen Niedergang, der bei Absperrung vom europäischen Markt unvermeidlich wäre, bedroht ist. Ich habe der Meinung Ausdruck gegeben, daß auch die Sowjetunion nicht an einer wirtschaftlichen Schwäche Österreichs interessiert sein kann. Ich habe klargestellt, daß Österreich der EWG nicht als Vollmitglied beitreten wird und daß der Assoziierungsvertrag die internationalen Verpflichtungen Österreichs und die von Österreich beschlossene immerwährende militärische Neutralität voll berücksichtigen muß. Dieser Standpunkt wurde von Chruschtschow zur Kenntnis genommen, wobei er seinem Vertrauen in die österreichische Vertragstreue Ausdruck gab. ',

Wir hoffen, daß die Verhandlungen Österreichs mit der EWG zu einem Assoziierungsvertrag, der den ausgeführten Gesichtspunkten Rechnung tragen und Österreich den gleichen Zutritt zu den europäischen Märkten gestatten wird, bis zum Ende des kommenden Jahres abgeschlossen sein kann.

Wir dürfen allerdings von einem solchen Vertrag keine einseitigen Vorteile für unser Land erwarten. Zug um Zug werden wir den anderen europäischen Ländern unseren Markt öffnen müssen. Das wird die Konkurrenz in Österreich verschärfen. Wir können davon die Verbilligung vieler wichtiger Konsumwaren — allerdings erst im Laufe einiger Zeit — erwarten, es wird . anderseits nicht nur die österreichischen Unternehmungen zwingen, ihre Marktposition neu zu überdenken • und in. vielen Fällen die , Produktion umzustellen, es wird auch unsere gesamte .Wirtschaftspolitik nötigen,, die Kräftigung der Konkurrenzfähigkeit an die Spitze ihrer Überlegmgen zu stellen und protektioni-stische Maßnahmen abzubauen.

Dieser Gedankengang gibt mir Anlaß, einen Rückblick auf unsere innere Wirtschaftspolitik zu werfen. Sie war im ablaufenden Jahr insbesondere der Sorge um die Stabilität und die Vermeidung oder besser gesagt Bekämpfung inflationistischer Entwicklungen gewidmet. Nicht umsonst stand im Wahlkampf die Verteidigung des Schillings an erster Stelle und dies wird auch die oberste Richtschnur unserer Wirtschaftspolitik in den kommenden Jahren sein müssen.

Im Kampf um wirtschaftliche Stabilität steht ein währungs- und wirtschaftsgerechtes Budget im Vordergrund. Ein solches aufzustellen, ist gegenwärtig eine außerordentlich schwierige Aufgabe, da schon die Mehrerfordernisse auf Grund bestehender Gesetze ein Defizit bedingen. Wir werden aber endlich auch anfangen müssen, gewisse Gebiete, die bisher zu sehr vernachlässigt worden sind, besser zu berücksichtigen. Ich denke da insbesondere an die Kultur und an die Landesverteidigung. Aus währungspolitischen Gründen werden wir ein Defizit nicht hinnehmen dürfen, aus konjunkturpolitischen den Ausgleich durch Steuererhöhungen vermeiden müssen. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als jede Ausgabe auf ihre Unvermeidbarkeit genau zu überprüfen.

Diese schwierigen Dinge werden, wie ich hoffe, leichter gelöst werden können, wenn man die Dinge der Wirtschaft nicht nur statisch, sondern auch dynamisch betrachtet. Ein weiteres kräftiges Wachstum der Wirtschaft ist die beste Voraussetzung für die Lösung von Aufgaben, die sonst nur schwer unter einen Hut gebracht werden können. Wir sollten daher alles vermeiden, was dieses , Wachstum hemmen,' alles unternehmen, was es fördern kann. Ungerechtfertigte Preisforderungen, unbescheidene Lohnforderungen, Hortung von Arbeitskräften, Absperrung gegenüber ausländischen Arbeitskräften müssen vermieden werden. Die Spartätigkeit und die Bildung neuen Kapitals müssen gefördert werden. Auch Steuergesetze, die die so notwendige Kapitalsbildung erschweren, sollen geändert werden. Auch die, Frage der Finanzierung . der Investitionen der verstaatlichten . Industrie muß endlich nach sachlichen Gesichtspunkten und ohne Hemmung durch parteipolitische Vorurteile gelöst werden.

Wenn wir Vernunft, Sachlichkeit und das öffentliche Wohl zur obersten Richtschnur unseres Handelns machen, braucht uns um das Gedeihen der Wirtschaft unseres Landes auch in den schwierigen Verhältnissen der Gegenwart und bei der nicht minder schwierigen Anpassung an einen größeren Markt nicht bange zu ein.

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