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Wende oder Ende?

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Die europaische Schicksalsfrage. Von Wilhelm H. Jansen. Palmen-Verlag Dietrich Reimer,

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Die europaische Schicksalsfrage. Von Wilhelm H. Jansen. Palmen-Verlag Dietrich Reimer,

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Man sagt manchmal, dies sei das Zeitalter zahlloser Diagnosen ohne eine einzige Therapie. Geht man dieser These auf den Grund, so findet man indes, daß klare, übersichtliche Zeitanalysen äußerst selten sind. Will man die Probe aufs Exempel machen, so muß man sich nur die Aufgabe stellen, einem jungen, mit der Terminologie des Zeitgeschehens bereits vertrauten Menschen ein Buch anzuempfehlen, das eine große, richtig gegliederte Ubersicht unserer Probleme und ihrer historischen Wurzeln gibt. Wollte man, weit zurückgreifend, das noch immer überragende Werk Schweizers als erstes anführen und in der Reihe als letztes das eben aus Amerika zu uns gekommene Buch Hans Kohns „Das zwanzigste Jahrhundert“ nennen, so würde man mit einiger Mühe auf ein knappes Dutzend Bücher kommen, so man all das ausschließt, was wohl subjektiv-eigenwillig, oft auch genial in der Interpretation, doch die Ruhe der Darstellung und das Objektiv-Gültige der Schau vermissen läßt. Ein knappes Dutzend Bücher ... das ist alles, was von der angeblichen Uberfülle an Diagnose übrigbleibt. Um so begrüßenswerter ist es daher, wenn nun aus Deutschland, dem Land der Ruinen und Verwirrung, dem Land der tiefen Verstörtheit und des großen Suchens, eine selten klare Stimme zu uns herüberdringt. „Wende oder Ende?“ ... ein Buch, das der jungen Generation gewidmet ist, hat keinen Berufshistoriker oder zünftigen Philosophen zum Verfasser, sondern einen der angesehensten Ärzte der deutschen Bundeshauptstadt. Was an dem vorliegenden Werk von Anbeginn so angenehm berührt, daß ist das bescheidene Zurücktreten des Autors vor seinem Thema. Die Probleme werden aus einer wissenschaftlichen Distanz dargestellt, es wird ihnen nie Gewalt angetan, es bricht an keiner einzigen Stelle das Subjektive durch, auch wird die bereits eingebürgerte philosophisch-historische Terminologie ohne die modern gewordenen Um- und Neuformungen benützt. Durch all dies entsteht der Eindruck neutraler Transparenz, obwohl sich der Autor keinesfalls der Stellungnahme entschlägt. Die europäische „malaise“ wird dabei nicht nur sehr exakt beschrieben, sondern auch Wege der Heilung aufgezeigt.

Einer Heilung, die der Verfasser In dem Einströmen neuer ethisch-sozial-europäischer Impulse in den bestehenden Gesellschaftsorganismus für möglich hält, wobei er an einer großen Anzahl innen- und außenpolitischer Beispiele (vom Gebiet der Krankenversicherung bis zum deutsch-französischen Verhältnis) konkrete Möglichkeiten aufzeigt.

Wollte man einen grundsätzlichen,Einwand machen, so wäre es nur der, daß der primäre Problemkreis, die Reaktivierung der ethischen Grundsubstanz, mithin die schwierigste abendländische Frage, in seiner ganzen Komplexheit nicht aufgegriffen wurde.

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