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Abspecken dort, wo Speck vorhanden ist

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Leopold Kendöl ist am 2. Juli überraschend als Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs zurückgetreten und hat gleichzeitig die Gründung einer „österreichischen Familienpartei" angekündigt, um den Anliegen der Familien mehr Gehör zu verschaffen. Der Familien verband hat den Rücktritt Kendöls zur Kenntnis genommen, gleichzeitig aber darauf verwiesen, daß sich Kendöl damit eindeutig in Gegensatz zu den erklärten Grundsätzen des Verbandes stellt: Familienpolitik sollte Anliegen aller Parteien sein. Für die FURCHE schreibt Kendöl nun. was er mit der neuen Partei in Wirklichkeit anstreben will.

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Leopold Kendöl ist am 2. Juli überraschend als Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs zurückgetreten und hat gleichzeitig die Gründung einer „österreichischen Familienpartei" angekündigt, um den Anliegen der Familien mehr Gehör zu verschaffen. Der Familien verband hat den Rücktritt Kendöls zur Kenntnis genommen, gleichzeitig aber darauf verwiesen, daß sich Kendöl damit eindeutig in Gegensatz zu den erklärten Grundsätzen des Verbandes stellt: Familienpolitik sollte Anliegen aller Parteien sein. Für die FURCHE schreibt Kendöl nun. was er mit der neuen Partei in Wirklichkeit anstreben will.

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Österreich ist ein gutes Land, seine Bevölkerung hat in den vergangenen Jahrzehnten Hervorragendes geleistet, auch die Kunst des Regierens erreichte streckenweise beachtliches Niveau.

Trotzdem verlangt die innere Dynamik des Wohlfahrtsstaates mit ihrer fast unkontrollierbaren Eigengesetzlichkeit und die kritische Situation der Weltwirtschaft, gegen die wir uns immer weniger abdichten können, deutliche Korrekturen und entschiedene Reformen, deren Größenordnung durchaus mit jenen nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges verglichen werden kann.

Andererseits haben uns Wohlstand und Überfluß der vergangenen Jahre geistig ausgelaugt, Egoismus und Eigennutz ist Trumpf, Demokratie entartet zur Spekulation auf niedere Beweggründe und Dummheit. Viele meinen, nur eine neuerliche Katstrophe könne ein politisches Umdenken bewirken.

Im Gegensatz dazu entspringt die Gründung der „österreichischen Fami-

lienpartei" der Erfahrung, daß Menschen lernfähig sind, daß sie nichts stärker motivieren kann als das Gute, daß ihre Unzufriedenheit nicht sosehr aus Armut, Arbeit und Entbehrung entspringt, sondern aus der Sinnlosigkeit ihres Daseins, aus der Ziellosigkeit ihrer Bestrebungen und aus dem Eindruck, ungerecht behandelt worden zu sein; daß das Glück des Menschen am größten ist, wenn er andere Menschen glücklich gemacht hat.

Aber auch aus der Erfahrung, daß all dies nicht von selbst geschieht, daß dies nicht theoretisch, sondern nur durch das Beispiel vermittelt wird; daß der Mensch nur am Menschen lernen kann.

Die Gründung dieser Partei entspringt ferner der Überzeugung, daß diese Erfahrungen auch fiir das politische Leben Gültigkeit haben und daß die Demokratie sich als die geeignetste Form für die Realisierung darstellt. Ohne Zweifel stellt die Demokratie, so verstanden, hohe Ansprüche an die Politiker, deren Phantasie, Intelligenz, Gesprächsfähigkeit, Fleiß und Selbstlosigkeit.

Nicht die Systemzwänge, nicht die angebliche Schlechtigkeit der Menschen, die Krise ihrer Politiker und Parteien führt die Demokratie selbst in die Krise.

Der Politiker soll ein Mensch sein, der Leidenschaft, Verantwortungsbewußtsein und Augenmaß mitbringt. Er braucht die Begegnung mit anderen Politikern, um von ihnen zu lernen und sich an ihnen zu messen.

Er braucht die Begegnung mit den Menschen, um deren Sorgen und Wünsche zu erkennen und deren Sprache nicht zu verlernen.

Die Partei ist jener Ort, wo diese Begegnungen stattfinden können.

Der Politiker soll große Ziele in kleine unscheinbare Schritte umsetzen können. Er soll die Begeisterung für das Höchste auch bei den kleinsten Entscheidungen durchhalten können.

Die Partei ist der Ort für diese geistigen Prozesse.

Der Politiker muß wissen, daß die höchsten und unfehlbarsten Ziele bei der politischen Konkretisierung immer irrtumsanfälliger werden. Er muß daher hohe Motivation mit großer Toleranz verbinden können. Für die Partei bedeutet dies: kein Totalitätsanspruch, kein Monopolanspruch, keine Rechtfertigung für Machtansprüche um der Partei willen.

Wenn ein Wort der Schrift für das politische Leben unmittelbar anwendbar ist, dann wohl dieses: „Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterjochen und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein."

Solange eine Partei von diesem Geist beseelt ist und die Versuchungen des Machtmißbrauches abwehren kann, gleicht sie einem Organismus, dessen Lebenskraft stark genug ist, um Krankheitskeime abzuwehren und den inneren Zerfall zu verhindern. Wenn dies nicht mehr gelingt, ist die Partei tot.

Der Außenstehende übersieht hinter der verwirrenden Vielfalt politischer Materien die Einfachheit der Handlungsmaximen: Die Vergangenheit war vom jährlichen Zuwachs des Nationalprodukts geprägt.

Dies ermöglichte eine immer großzügigere Übernahme von Staatsaufgaben im Bereich der Wohlfahrt, eine sehr freie Hand bei der Vergabe staatlicher Förderungsmittel und eine sehr weitgestreute Verteilung des Überschusses an die Bevölkerung. Warum dabei trotz allem die Armen ärmer und die Reichen reicher wurden, bedürfte einer eigenen Darlegung.

In Zukunft aber heißt es sicher, die Gürtel enger zu schnallen. Die einzig vertretbare Maxime kann daher nur lauten:

Gezielte Maßnahmen bei der Verteilung von Förderung und Belastung; abspecken dort, wo Speck vorhanden jst; gezielte Umstrukturierung des Wohlfahrtswesens, wo dieses wildwuchernde Eigengesetzlichkeit annimmt (Witwerpension).

Dies alles aber ist kein Problem des Macnbaren, kein Problem des Administrierbaren, sondern weitgehend ein Problem des Selbstverständnisses der gegenwärtigen Parteien: Wer keine einzige Stimme bei der nächsten Wahl riskieren will, ist unfähig, gezielte Maßnahmen in einer Zeit der Belastungen zu setzen. .

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