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Biesheuvels Sparregiment

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Erst drei Monate nach den Wahlen konnte sich die neue niederländische Regierung dem Parlament vorstellen. Der neue Premier Barend Bies- heuvel verlas im Namen des Kabinetts die Regierungserklärung, ein rechtes Credo. Er sprach pastoral, wie von der Kanzel, und er hatte vor allem Warnungen bereit.

„Wir müssen“, sagte er etwa, „uns immer mehr Rechenschaft geben, daß nicht alles soziale Heil ausschließlich von der Obrigkeit ausgehen kann und erwartet werden sollte. In einer Zeit des Wohlstandes kann viel mehr durch eigene Initiative und eigene Verantwortung realisiert werden. Die Staatsausgaben dürfen nicht als fundamentale Werte, deren Selbstverständlichkeit keiner weiteren Auseinandersetzung noch einer nüchternen Analyse bedarf, betrachtet werden.“

Die finanzielle und wirtschaftliche Situation, in der das letzte Kabinett des Premiers Piet de Jong das Land zurückließ, war nicht geade rosig. In der Regierungserklärung werden daher zahlreiche Maßnahmen angekündigt, die die finanzielle Situation des Staates verbessern sollen. Biesheuvel kündigt vor allem Maßnahmen an,

die zu einer Mäßigung im Wachstum der Staatsausgaben, zu Einsparungen und Wiederbesinmung auf die Prioritäten führen sollen. Premier Biesheuvel sprach allerdings etwas unbestimmt. Einschränkungen der Ausgaben hieß bei ihm „Umschwenken der Führung der Staatsgeschäfte“

und „Neubewertung der Behördenaufgaben“.

Es geschah besonders unter dem Einfluß des neuen Partners der Konfessionellen, „DS 70“ (Demokratische Sozialisten, eine rechtssozialistische Partei, unter Schatzmeister Willem Drees jr.), daß die Konfessionellen sich zu einem solchen kargen Programm bekehrten. Der Haushalt- plan 1972 wird wahrscheinlich einen Abgang von mehr als 1400 Millionen Gulden aufweisen, daher müssen viele dringliche Maßnahmen zurück- gestellt werden.

Bei der Diskussion der Erklärung hat die Opposition die Regierung so unter Druck gesetzt, daß Biesheuvel zugeben mußte, daß möglicherweise keine 530.000 Wohnungen — wie vorgesehen — in dieser Regierungs- periode gebaut werden können, obwohl die Regierungserklärung einige Tage zuvor diese Zahl noch genannt hat. Alle Fraktaomsvertreter hatten in ihren Reden gesagt, daß sie daran festhalten werden^ sowohl Regierungsparteien als auch Opposition. Dieses Problem könnte daher ein gefährliches Hindernis für die holländische Regierung werden. Schon 1950 fiel ein Kabinett im Kampf um 4500 Wohnungen.

Biesheuvel zufolge sollen „die wirklichen Kosten bestimmter öffertt-’

licher Dienste an erster Stelle von jenen getragen werden, die diese Dienste benützen“ („Profitprinzip“). Die ersten Vorschläge in dieser Richtung zielen auf Erhöhung der Kolleg- und Schulgelder auf ein Mehrfaches.

Die Notstandsgebiete im Norden (Ost-Groningen) und Süden (Limburg) haben Vorrang bei allen Maßnahmen. Die Zahl der Entlassungen und Betriebsschließungen ist dort sehr hoch. Groningen ist bekannt für seine schwache Textilindustrie, so wurden erst Ende Juli mehr als 600 Arbeiter entlassen, weil drei Fabriken die Produktion einstellten. Weniger krasse Notstandsgebiete fühlen sich etwas im Stich gelassen.

Grimmig waren die Erklärungen der Oppositionsführer, des Sozialisten den Uyl und des Demokraten van Mierlo. Den Uyl attackierte den Regierungsakkord: „Die konfessionellen Parteien haben die wirkliche Situation der öffentlichen Finanzen verheimlicht. Schon vor den Wahlen kannten die Regieruhgspärteiefi die Zielziffem des ehemaligen Finanz- miinisters Mitteveen, wonach den Wählern nichts versprochen werden konnte, weil das Geld fehlen würde.“ Den Uyl wandte sich scharf gegen „die Koalition der Verlierer“, gegen die Preisgabe des Preisstopps, gegen die Erhöhung der Kolleggelder und gegen die Erhöhung des Wehrbudgets.

Van Mierlo wandte sich vor allem gegen das „Profitprinzip“, weil es die soziale Ungleichheit vermehren werde. Diese Regierung wird es schwer haben und ihre Versprechungen kaum halten können und hat auch schon begonnen, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Die Vermehrung der Staatssekretäre war zumindest unklug und die Reise von sechs Staatssekretären nach Porte Ercole ziur Vereidigung durch Königin Juliane hat viele fragen lassen, ob solche Ausgaben wohl ein gutes Beispiel für ein Sparregiment seien.

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