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Das Argument vom kleineren Übel

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In der deutschen Monatsschrift „Epoche”, die in ihrer ideologischen Ausrichtung freiheitlich-konservativ ist, las ich vor kurzem einen Beitrag, mit dessen Kernaussage ich mich auseinandersetzen möchte. Kritisiert wird die amerikanische Außenpolitik:

Sie unterstütze totalitäre Regime wie etwa China, treibe Handel mit den ebenfalls totalitären kommunistischen Ländern Osteuropas, verhänge aber wirtschaftliche Sanktionen gegen Länder Lateinamerikas (Guatemala, Chile usw...), die ja nur autoritär seien.

Beklagt wird also, daß „moralische” Maßstäbe zwar im Umgang mit den relativ „harmlosen” autoritären Regimen angewendet werden (sie unterdrücken „nur” die politische Opposition, ließen aber in den anderen Bereichen Freiheit), während die viel ärgeren totalitären Regime (sie bevormunden den Menschen sein Leben lang) besser wegkämen.

Dieses Argument leuchtet zunächst ein. Die Schlußfeststellungen des Autors sind aber doch etwas gewagt: „Gerade, wenn die Politiker an die Priorität der Entspannung in Europa glauben, sollten sie westliche Bastionen und Oasen der Freiheit in anderen Teilen der Welt bewahren helfen, auch wenn diese Freiheit dem Gesinnungsethiker nicht so lupenrein erscheint...”

Hier wird offenkundig, wohin die so häufig verwendete Argumentation mit dem kleineren Übel führen kann. Man ist so sehr auf die Relativität eines Zustandes fixiert, daß man vergißt, daß es sich um ein Übel handelt. Sonst könnte man doch unmöglich die Länder Lateinamerikas als Oasen der Freiheit bezeichnen! Denn, was heißt denn schon, daß zwar die Opposition politisch unterdrückt wird, der Mensch sonst aber alle Freiheiten hat?

Was bedeutet es denn noch von Freiheiten im außenpolitischen Bereich zu reden, wenn man alles politisieren kann?

Wenn ein Priester eine landwirtschaftliche Genossenschaft gründen will, um die Existenzbasis seiner Bauern zu verbessern, begeht er natürlich eine politische Handlung und kann deswegen verfolgt werden.

Wenn ein Student an einer westlichen Hochschule studiert und heim ins, ach so freie, Paraguay kommt, ist er von vornherein politisch äußerst suspekt. Auch der Versuch, sich in die Provinz zurückzuziehen, um dort in Ruhe einen forstwirtschaftlichen Betrieb zu leiten, nützt nichts: Man bleibt unter dem wachsamen Blick der Machthaber.

Die Einführung höherer Sozialleistungen und eines selbst gestalteten Bildungsprogrammes, um das Niveau seiner dumpf dahinlebenden Arbeiter zu heben, wird sofort als politisch gefährliche Handlung gewertet. Die Folge: Verhaftung und Verbannung. So einem meiner Freunde tatsächlich geschehen.

Da mutet die Behauptung, solche Länder seien Oasen der Freiheit, wie ein Hohn an. Stützt sich diese Behauptung nicht nur auf den Umstand, daß sich diese Länder zum selben Wirtschaftssystem bekennen wie der Westen? Ja, sicher investieren können wir dort relativ frei und die Erträge aus den aufstrebenden Märkten relativ gut heimtragen.

Aber müssen wir uns nicht ernsthaft fragen, ob diese im Kern nur auf wirtschaftlichen Interessen basierende Argumentation Grundlage einer langfristig erfolgsträchtigen Politik sein kann?

Sollte uns nicht stärker bewußt werden, daß unsere eigene Freiheit überall dort bedroht ist, wo Menschen unterdrückt werden?

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