Boden - © Foto: iStock/VR19

Der Boden: Das wichtigste Kapital

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Die Situation der österreichischen Ackerböden ist im internationalen Vergleich relativ gut.

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Die Situation der österreichischen Ackerböden ist im internationalen Vergleich relativ gut.

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Professor Dr. Heinrich Wohlmeyer ist Präsident der Österreichischen Vereinigung für Agrarwissenschaftliche Forschung.

DIE FURCHE: Wie sieht die Situation des Bodens in Österreich aus?

HEINRICH WOHLMEYER: Ich glaube, daß wir in Österreich noch eine relativ gesunde Situation haben, daß aber die Gefahr besteht, daß wir -gerade unter dem Druck der internationalen Agrarpolitik - in räuberische Vehaltensmuster gegenüber dem Boden fallen.

FURCHE: Ist unsere Situation günstig, weil unsere Landwirtschaft kleinstrukturiert ist?

WOHLMEYER:... vorallem,weil wir eine Tradition des behutsamen Umgangs mit dem Boden haben...

FURCHE: Gilt das auch für die Forstwirtschaft?

WOHLMEYER: Die Forstwirtschaft konnte bodenmäßig nie viel tun. Hier sehen wir eines, daß gerade der Waldboden, bei dem der Mensch nicht durch Ausgleichsdüngungen eingreift, der schweren Versauerung unterliegt. So haben etwa Teile der Gleinalmböden in der Steiermark schon einen pH-Wert von drei. So kann es nicht weitergehen. Bei dieser hohen Wasserstoffionenkonzentration werden die Nährstoffe aus dem Boden eliminiert, das Bodenleben verarmt, es kommen nur mehr säureresi-stente Pilze durch. Dadurch wird das ganze System ein Hungersystem.

FURCHE: Wirkt sich das auch auf das Wachstum aus?

WOHLMEYER: Ja. Professor Ulrich aus Göttingen sagt ein Kippen solcher Böden voraus. Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist die Situation dramatisch. Professor Franz Schinner aus Innsbruck hat den Pfänder in Vorarlberg untersucht und festgestellt, daß dort Rohhumusböden die vor 30 Jahren noch eine Mächtigkeit von etwa 40 Zentimetern hatten, auf acht bis zehn abgebaut wurden. Der Rohhumus hat früher wie ein Schwamm gewirkt. Er konnte wohl Niederschläge bis zu 30 Millimeter - sie sind dort häufig - aufsaugen. Jetzt sind nur mehr Mullböden übrig. Jeder große Regen bedeutet Bodenabschwemmung. Der Boden ist am Ende. Der Pfänder ist Richtung Verkarstung unterwegs.

FURCHE: Wodurch ist dieser Abbau hervorgerufen?

WOHLMEYER: Die Hauptursache ist der Stickstoffeintrag - vor allem der aus den Autoabgasen in der Rheinebene. Durch den Massenverbrauch fossiler Energie verheizen wir biologisch diese Böden. Schinner hat das so ausgedrückt: Was wir hier schleichend machen, ist gleichwertig mit dem Verbrennen der tropischen Regenwälder. Wir konnten beim Waldboden vor allem zwei Phänomene feststellen: Durch Stickstoffüberdüngung aus der Luft wird Rohhumus abgebaut. Und weil dieser Stickstoff ja vor allem in Nitratform herunterkommt, bildet sich im Boden Salpetersäure. Als eine der härtesten Säuren führt sie zur Nährstoffauswaschung und zur Verarmung des Bodenlebens.

FURCHE: Ist das nicht ein Widerspruch zur Aussage, die Situation in Osterreich sei noch relativ gut?

WOHLMEYER: Die Aussage galt fürdie Landwirtschaft. Die Forstwirtschaft ist unter voller Bedrohung vor allem durch den Transitverkehr.

FURCHE: Weniger Wasserspeicher ung im Boden: Heißt das Abgang von Muren und später Verkarstung?

WOHLMEYER: Es kommt noch etwas dazu: Die durch Luftverschmutzung und Bodenverschlechterung geschädigten Bäume verlieren ihre älteren Nadeljahrgänge, verdunsten weniger Wasser und pumpen daher die feuchten Böden nicht leer. Auf alle Fälle werden die Vermurungen, imWinter aber auch die Lawinen zunehmen. Auch sie nehmen die Böden mit. Bei einer Exkursion in Tams weg berichteten die Leute von der Wildbach- und Lawinenverbauung, daß sich die Hochtäler rapid eintiefen und die Kleinereignisse zunehmen. Kleinereignisse aber bereiten Großereignisse vor. Sie rechnen damit, daß es zu ganz massiven Bodenabtragungsbewegungen kommt. Man muß bedenken, was das etwa für Tirol, dessen Fläche nur zu rund 14 Prozent lawinen- und murensicher ist, bedeutet. Man muß da bedenken: Etwa drei Viertel der Schutzwälder können ihre Funktion nicht mehr voll erfüllen.

FURCHE: Zurück zu den landwirtschaftlich genutzten Böden. Wie sieht da die Lage bei uns aus?

WOHLMEYER: Die Bauern haben immer darauf geachtet, daß der pH-Wert ihrer Böden (durch Aus-gleichskalkungen) richtig eingestellt wurde. Im Wald ist dies sehr schwer möglich und auch zu teuer. Im Ak-kerland hätten wir schon längst eine massive Versauerung, wenn nicht die Bauern ausgleichend wirken würden. Was den Umgang mit dem Boden anbelangt, haben wir aber in der Vergangenheit fast nur an die Pflanzenernährung gedacht: Was ist das optimale Angebot an Nährstoffen für die Pflanzen? Und diese wurden zunehmend in Form von mineralischem Dünger eingebracht. Daß dabei das Bodenleben schwer geschädigt werden kann, haben wir nicht beachtet. Nun muß man sich in die Bodenlebewesen hineinversetzten: Nehmen wir an, ich dünge mit unverdünnter Jauche. Wie es da wohl dem Regenwurm, der plötzlich in der Jauche zu schwimmen hat, geht?

FURCHE: Die Dinge wurden also zu einfach gesehen?

WOHLMEYER: Ja, der Boden wurde nur als Substrat für die Nährstoffe betrachtet, aber nicht als ein komplexes System, das Heimat der Pflanzenwurzeln ist. Heute erst beginnt man die Bodenchemie und -morphologie völlig anders zu sehen. Zunächst zur Morphologie: Ein guter Boden hat etwa in unseren Breiten 25 Prozent Grobporen, das sind durchlüftete Poren. Das sind 25 Prozent Luft, damit das Bodenleben wirklich atmen kann. Weiters Kleinporen mit etwa 25 Prozent Wasser. Sie garantieren die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens. Solche Poren entstehen nur, wo der Boden durch Bakterien und Pilze lebend verbaut wird. Spritzt man Wasser auf einen Wiesenboden, der stabil verbaut ist, dann saugen sich die Krümmein an und bleiben auch beim Spritzen stabil. Da gibt es ein biologisches Mauerwerk, das den Boden elastisch erhält. Ein biologisch wenig aktiver, nicht so gut lebend verbauter Boden, der scheinbar dieselbe Struktur hat, wird, wenn Regen darauf fällt zur amorphen Masse. So ein Boden wird dicht geschwemmt, enthält nur wenig Luft und seine Wasserspeicherfähigkeit ist weitgehend zerstört. Daher trocknet er sehr rasch aus. Dann sehen wir die Risse in den Äckern.

FURCHE: Die Bodenlebewesen sorgen auch für die Fruchtbarkeit?

WOHLMEYER: Die Lebewesen haben eine Doppelfunktion. Sobald es warm genug für sie ist, beginnen sie mit ihrem Stoffwechsel. Einer frißt vom anderen und die Pflanzenwurzeln setzen sich in diesen Lebensraum hinein und naschen bei diesem Nährstoffkreislauf mit. Aber sie tragen auch etwas bei: Ihre absterbenden Wurzeln bringen sie wieder in diesen Nährstoffkreislauf zurück. Der Regenwurm, einer der Haupt-nützlinge, zieht die Biomasse von oben nach unten in seine Röhren hinein. Er bildet Humuskomplexe im Darm und gibt sie ab. Wenn ich nun durch Tiefpflügen diese Biomasse tief lege, wird der Regenwurm immer noch nach oben gehen. Dort aber findet er nichts mehr, verhungert oder ist schlecht ernährt. Durch seichtes Pflügen kann man auf die Ernährungsart der Nützlinge im Boden berücksichtigen.

FURCHE: Kann man sich die bisherige Form der Bewirtschaftung auf Dauer leisten?

WOHLMEYER: Durch das harte Management, das wir im Pflanzenbau betreiben, nimmt die natürliche Bodenfruchtbarkeit ab. Wir haben das kompensiert, indem wir immer mehr gedüngt und Schädlinge intensiver bekämpft haben. Die ökologischen Risken werden so schlagend werden, daß man in allen Wirtschaftszweigen die umweltfreundlichste Technologie wird anwenden müssen. Für die Landwirtschaft heißt das: naturnaher Landbau. Das bedeutet mit möglichst wenig mineralischem Düngerundmit fast keinen Bioziden. Dann brauche ich die Hilfe der Lebewesen im Boden. Der Boden ist die große Recycling-Station jeder Biosphäre.

FURCHE: Sie sprachen davon, daß die Situation Österreichs vergleichsweise gut ist. Woher rührt das?

WOHLMEYER: Wir liegen sowohl im Düngemitteleinsatz als auch im Einsatz von Pflanzenschutzmittel unter den anderen europäischen Ländern, meistens um die Hälfte. Unsere Bauern haben in einem jetzt dankenswerten Konservativismus die Moden der Zeit nicht ganz mitgemacht. Große Gebiete - vor allem die bergbäuerlichen - haben wie seit Jahrhunderten naturnah gewirtschaftet und dem Druck zum Einsatz von bodenschädigenden Hilfsstoffen widerstanden.

FURCHE: Wird sich das nach einem EG-Beitritt Österreichs ändern?

WOHLMEYER: Die EG beginnt umzudenken. Aber zwischen Erkennen durch die Umweltdirektion und der Umsetzung der Einsicht liegt ein weiter Weg. Vor allem aber fürchte ich, daß die EG im Rahmen der G ATT-Verhandlung vor den Amerikanern kapituliert. Das hieße, daß der Preisdruck der internationalen Märkte voll weitergegeben wird. Die Frage eines

ökologisch notwendigen Preisniveaus für landwirtschaftliche Produkte wird aber derzeit kaum gestellt. Wenn wir mit dem Boden behutsam umgehen, kommt das teurer, als wenn wir mit der chemischen Keule drüberge-hen. Wir haben im Forschungsprojekt „Welthandel und Umwelt" im Rahmen einer Fallstudie einen Betrieb in Österreich untersucht der bewußt keine Pestizide einsetzt, das Unkraut mechanisch bekämpft und seine Nährstoffe am Hof möglichst geschlossen im Kreis führt: Mit etwa 30 Hektar ist die Familie voll ausgelastet. Im Vergleich dazu führt ein Kollege im Marchfeld mit vollen traditionellen Regien einen Hof mit 120 Hektar im Nebenerwerb. Dort ist nicht einmal eine Vollarbeitskraft ausgelastet. Welch ein Unterschied!

FURCHE: Ist nachweisbar, daß bei industriellem Landbau das Bodenleben im Vergleich zum naturnahen Land schlechter ist?

WOHLMEYER: Wir sind in Österreich erst jetzt verstärkt in die Bodenbiologie eingestiegen. Derzeit sind die Bauern weitgehend auf ihre eigenen Erfahrungen angewiesen.

FURCHE: Es gibt also keine Untersuchung der zeitlichen Veränderung des Ackerbodens?

WOHLMEYER: Bis auf einige krasse Fälle, nein. Man hat aber das Bodenleben von sehr naturnah belassenen Böden untersucht. Eines wissen wir auch, daß gut ernährte Ackerböden ein sehr hohes Bodenleben aufweisen.

FUCHE: Kann man sagen, daß die Situation des österreichischen Bodens noch relativ gut ist, daß es aber einer Änderung der Anbaumethoden bedarf, um dieses Niveau zu halten?

WOHLMEYER: Was wir brauchen, sind möglichst gute Bodenuntersuchungen, aufgrund derer die Düngung konzipiert und dem Bedarf der Pflanzen und des* Bodenlebens angepaßt werden kann. Organische Düngemittel gilt es, wiederzuentdek-ken, vor allem den Einsatz von Kompost. Weiters müßte die Unkraut-und Schädlingsbekämpfung bestmög-lich mit nicht chemischen Mittel erfolgen.

Vor allem muß klar sein: Eine das Bodenleben schonende Weise des Wirtschaftens bewirkt höhere Kosten. Wir müßten uns auf Mindeststandards einer ökologisch geordneten Produktion, die den Boden maximal schützen, einigen. Wir haben eine österreichische Bodenschutzkonzeption und Bodenschutzgesetze in den Ländern. Maßnahmen werden aber in der Regel nur dann ergriffen, wenn irgendwo etwas passiert ist. Dann werden die Bauern bestraft. Was wir brauchen, sind konkrete Richtlinien für ökologisch geordnete Kulturführung. Und diese muß man auch außenwirtschaftlich verteidigen. Wenn ich Produktionsmethoden vorschreibe, die höhere Kosten verursachen, aber das sich daraus ergebende höhere Preisniveau handelspolitisch nicht verteidige, so liefere ich die Landwirtschaft dem Untergang aus.

FURCHE: Läßt sich das ökonomisch durchargumentieren?

WOHLMEYER: Selbstverständlich. Denn heute verkaufen wir das wichtigste Kapital der Zukunft: unseren Boden. In zehn oder 20 Jahren werden wir ganz sicher den Wohlstand eines Volkes entscheidend nach den Quadratmetern fruchtbaren Bodens messen müssen.

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